Laufen im Flow by Mihaly Csikszentmihalyi Philip Latter & Christine Weinkauff Duranso

Laufen im Flow by Mihaly Csikszentmihalyi Philip Latter & Christine Weinkauff Duranso

Autor:Mihaly Csikszentmihalyi, Philip Latter & Christine Weinkauff Duranso
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Riva
veröffentlicht: 2018-03-16T16:00:00+00:00


KAPITEL 6

Flow im Alltagslauftraining

Der höchste Punkt Costa Ricas ist der Cerro Chirripó, ein inaktiver Vulkan, der sich als einer der weltweit berühmtesten Berge fast von Meereshöhe weg 3820 Meter hoch über die Zip-Lines der Ökotouristen im darunterliegenden Regenwald erhebt. Die meisten Bergsteiger lassen sich – nicht überraschend – für den fast 40 Kilometer langen Rundkurs zu seinem Gipfel zwei bis drei Tage Zeit. Viele von ihnen verbringen die Nacht in einem Basislager fünf Kilometer davon entfernt, um sich an die Höhe zu akklimatisieren. Die 33-jährige Betsy Dorsett entschloss sich, den Cerro Chirripó an einem Tag zu erlaufen.

Sie stand im späten Oktober um Mitternacht auf, schnappte sich Stirnlampen und Trinkrucksack und lief los, in die Nachtschwärze Costa Ricas hinein. Ihr Trip würde fast 24 Stunden dauern, Tag und Nacht. Gewitterblitze erhellten punktuell den Nachthimmel, der sonst Matsch und Pfützen verbarg. Eine Stirnlampe war bereits kaputt, und Betsy zog ihre Ersatzlampe hervor. Sie rutschte und schlitterte und arbeitete sich durch Schlamm und Matsch. Sie wollte umkehren, zurück in die Sicherheit des trockenen Hotelzimmers. Doch immer kam dieses einfache Mantra zurück: Ich muss mich nur einen Tag lang konstant bewegen.

Nach sechs Stunden Aufstieg kroch sie regelrecht ins Basecamp. Von der Höhenkrankheit war ihr extrem schwindlig, und die Luftdruckveränderung brachte ihren Kopf zum Pulsieren. Es erwies sich nun als sehr ungünstig, dass ihr spezifisches Höhentraining fehlte; sie hatte wochenlang nur am Strand trainiert und über Monate keinen Schritt in die Höhe gesetzt. Eine kleine Mahlzeit aus Kartoffeln und Energieriegel half etwas; der Gedanke an den bevorstehenden Aufstieg über schwieriges Gelände schien furchteinflößend.

Also zählte Betsy ihre Schritte. Wieder und wieder, sodass die Zahlen ihren Fokus weg von Müdigkeit und Erschöpfung wieder auf die eigentliche Aktivität lenkten. Trotz all der Probleme bewegte sie sich weiter voran. Das ließ sie ihre Trägheit überwinden. Laufen fühlte sich gut an, selbst 3000 Meter bergauf. Nichts sonst zählte.

Die Sonne war aufgegangen, Vögel zwitscherten. Betsy war bereits über der Baumgrenze, der Pfad wurde trocken und gut sichtbar. Betsy überholte mühelos Bergsteiger, die ebenfalls vom Basecamp aus aufstiegen, obwohl die dünne Luft ihr Schritttempo langsam und gleichmäßig hielt. Manchmal stolperte sie wegen der Steigung des Pfads, aber das empfand sie als nicht weiter schlimm. Endlich sah sie die große costa-ricanische Flagge am Gipfel. Sie hatte es geschafft. An klaren Tagen hatte man hier einen herrlichen Panoramablick über das ganze Land.

»Als ich am Gipfel ankam, war ich allein«, schrieb Betsy in ihr Tagebuch, als sie zurückkam. »Ich wollte weinen und schreien und in die Luft springen. Machte ich aber nicht. Ich hatte erst die Hälfte geschafft. Ich blieb eine Weile oben, sah zu, wie der Wind die Wolken um mich herum trieb, die hin und wieder den Blick auf die Täler und Berge unten freigaben. Ich setzte mich und nahm alles in mich auf. Ich war schon weit gekommen, musste aber immer noch weiter.«

Der Abwährtslauf stand ihr bevor. Sie zügelte ihren Schritt, der Folgen bewusst, die 3000 Höhenmeter am Stück über fast 20 Kilometer bergab bringen würden. Auf den letzten fünf Kilometern schmerzten alle Muskeln und Fasern ihres Körpers.



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