Krieg ohne Fronten by Bernd Greiner

Krieg ohne Fronten by Bernd Greiner

Autor:Bernd Greiner
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: HIS Verlag
veröffentlicht: 2012-12-31T16:00:00+00:00


Captain Ernest Medina, Kompaniechef C Company, »Task Force Barker«. © Associated Press

An diesem Tag hatte Medina nur eines im Sinn: Seine Männer »heiß« zu machen. Deshalb wollte er zu allen sprechen. »Jeder von uns hing ziemlich in den Seilen. Wir hatten viele Jungs verloren und immer noch keine Gelegenheit zum Kampf gehabt. Egal, was gewesen war, er [Medina] gab dir das Gefühl, dass du jetzt deine große Chance hattest.«144 Die Rede war von einem »verdammt guten Kampf«:145 Medina spielte mit der Frustration derer, die sich als Soldaten zweiter Klasse und als Versager sahen, er stellte in Aussicht, es dem Vietcong heimzahlen zu können – und er manipulierte die Phantasien jener, die Rache an den Bauern nehmen wollten. Rache an Menschen, die für den Tod in Hinterhalten verantwortlich gemacht wurden oder dafür, dass man sich überhaupt im Dschungel quälen musste. Wie den Aussagen der Beteiligten zu entnehmen ist, bediente Medina die unterschiedlichsten Erwartungen: Kampfeslust, Überwindung von Kränkungen, Ausleben von Aggressivität. Und vor allem bot er die Aussicht auf Selbstvergewisserung, auf die Bestätigung von Männlichkeit, Überlegenheit und Macht. »Der bloße Gedanke an den nächsten Tag ließ bereits das Adrenalin fließen. Endlich würden wir tun können, wofür wir hier waren. Endlich, endlich würde es passieren.«146

Nicht zuletzt bediente sich Medina eines bereits in der Grundausbildung beliebten Mittels. Er machte den GIs Angst, versetzte sie in Todesangst. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die C Company keine nennenswerte Kampferfahrung gehabt. Andererseits wusste man um die Präsenz des Feindes. Erst wenige Wochen zuvor hatten die A und B Company eine weitläufige, bis sechs Meter unter die Erde reichende Tunnelanlage mit drei Tonnen militärischer Ausrüstung entdeckt.147 Wie viele feindliche Truppen sich wo aufhielten, vermochte Medina nicht zu sagen. Aber er bezeichnete das Einsatzgebiet als »heißen Ort«, mutmaßte, dass »My Lai (4)« sich als massiv verteidigte Festung erweisen könnte, wollte gar eine zahlenmäßige Überlegenheit der Vietcong nicht ausschließen und stimmte die GIs auf »schwere Verluste« in den eigenen Reihen ein.148 Und Medina forderte dazu auf, zusätzliche Munition mitzunehmen – mit dem Ergebnis, dass nicht, wie ansonsten üblich, an die 16000 Schuss Munition für 100 Soldaten verpackt wurden, sondern mehr als das Doppelte, die zusätzlichen Granaten für M-79-Granatwerfer und 81-mm-Mörser nicht eingerechnet.149 »Wir dachten wirklich, die Hölle würde auf uns warten.«150 Wie es scheint, wollte Medina diesen Zustand stimulieren. Genauer gesagt: den Punkt erreichen, an dem Angst nicht mehr lähmt, sondern aggressive Energien im Übermaß freisetzt und Todesangst in Todesverachtung umschlägt. Das Stakkato aus dem »Boot Camp« hatte alle wieder eingeholt: »Töte, töte, töte – oder du kommst in einem Leichensack nach Hause.«

Explizit wurde Medina auf den Umgang mit Frauen und Kindern angesprochen. Der genaue Wortlaut der Frage ist unklar. »Sie fragten, ob sie alles und jedes, was ihnen zu Gesicht kamen, erschießen könnten«, erinnert sich Michael Terry.151 Anderen Ohrenzeugen zufolge wollten einige GIs wissen, ob Medina auch Zivilisten als Feinde einstufte.152 Wie die Frage auch immer formuliert war: Es ging allein darum, ob man Frauen und Kinder erschießen dürfte oder ob man sie umbringen müsste, ob eine Lizenz oder ein Befehl zum Mord an Zivilisten vorlag.



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