Kleine Dinge wie diese by Claire Keegan

Kleine Dinge wie diese by Claire Keegan

Autor:Claire Keegan
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Steidl Verlag
veröffentlicht: 2022-03-12T00:00:00+00:00


6

»Du hast die Frühmesse verpasst«, sagte Eileen, als er nach Hause kam.

»War ich nicht im Kloster? Und dann hat man mich nicht gehen lassen, ohne dass ich einen Tee trinke.«

»Nun, es ist Weihnachten«, sagte Eileen. »Gehört es sich nicht so?«

Furlong gab keine Antwort.

»Was hat’s denn gegeben?«

»Tee«, sagte er. »Und Kuchen, das war alles.«

»Aber hat’s nicht noch was anderes für dich gegeben?«

»Was meinst du?«

»Ich meine, zu Weihnachten. Sie lassen uns doch am Ende des Jahres immer etwas zukommen.«

An den Umschlag hatte Furlong gar nicht mehr gedacht.

Als Eileen ihn öffnete und die Weihnachtskarte herausnahm, fiel ihr ein Fünfzig-Pfund-Schein in den Schoß.

»Sind sie nicht überaus gütig?«, sagte sie. »Das ist mehr als genug, um die Schulden beim Metzger zu bezahlen. Morgen früh hole ich den Truthahn und den Ofenschinken ab.«

»Zeig mal her.«

Die Karte zeigte einen blauen Himmel mit einem Engel und die Jungfrau Maria mit dem Kind auf einem Esel, der von Josef geführt wurde. Die Flucht nach Ägypten, las er auf der Rückseite. Auf der Innenseite stand in eilig wirkender Handschrift: Für Eileen, Bill und die Töchter. Alles Gute für Sie und die Ihren.

»Ich hoffe, du hast dich bei ihnen bedankt«, sagte Eileen.

»Warum sollte ich das nicht getan haben?« Furlong zerknüllte den Umschlag und warf ihn in die Kohlenschütte.

»Was ist dir denn über die Leber gelaufen?« Sie nahm die Karte und stellte sie neben ihre anderen Sachen auf den Kaminsims.

»Nichts«, sagte Furlong. »Wieso?«

»Dann zieh dich um, sonst kommen wir deinetwegen zu spät zur zweiten Messe.«

Furlong ging aufs WC, wusch sich am Waschbecken gründlich die Hände, schäumte das Gesicht mit Seife ein und begann, sich zu rasieren. An einigen Stellen drückte er die Klinge zu fest auf und schnitt sich in den Hals. Im Spiegel musterte er seine Augen, den Scheitel in seinem Haar und seine Augenbrauen, die noch enger zusammengewachsen zu sein schienen, seit er sich das letzte Mal betrachtet hatte. Er schrubbte seine Fingernägel und versuchte, so gut er konnte, das Schwarze darunter zu entfernen. Dann zog er mit einem bisher nicht gekannten Widerwillen seine Sonntagskleidung an und ging mit Eileen und den Mädchen zur Kirche. Der Bürgersteig kam ihm abschüssig vor, an einigen Stellen war es sehr rutschig.

»Habt ihr Kleingeld für die Kollekte?«, fragte Eileen die Mädchen lächelnd, als sie vor der Kirche standen. »Oder hat euer Daddy alles weggeschenkt?«

»Es gibt keinen Grund, so hässlich zu reden«, sagte Furlong spitz. »Hast du für einen Tag nicht genug in deinem Portemonnaie?«

Eileens Lächeln verschwand, und eine Art Erstaunen machte sich auf ihrem Gesicht breit. Langsam zog sie ihr Portemonnaie heraus und reichte den Mädchen Zehn-Pence-Stücke.

Im Vorraum tauchten sie die Finger in das marmorne Weihwasserbecken, sodass sich die Oberfläche kräuselte, und bekreuzigten sich, bevor sie durch die Flügeltür traten. Während die anderen durch das Kirchenschiff nach vorn gingen, blieb Furlong in der Nähe des Eingangs stehen und beobachtete, wie mühelos sie das Knie beugten und auf eine Sitzbank rutschten, genau wie man es ihnen beigebracht hatte. Joan ging weiter nach vorn, zu den Plätzen für den Chor, beugte erst das rechte Knie und kniete dann nieder.



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