Kippwende by Levin Jenifer

Kippwende by Levin Jenifer

Autor:Levin, Jenifer [Levin, Jenifer]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: K+S digital
veröffentlicht: 2016-08-17T22:00:00+00:00


Beim Frühtraining ging es mir noch schlechter. Ich verhaute die komplette Hauptserie von 15x200m – durch verrückte, kopflose Zwischenzeiten, langsam, gequält, sprunghaft – und hatte prompt Brenna Allen am Hals. An den Beckenrand geklammert, zwischen Serien keuchend, statt auszuschwimmen, sah ich durch bewölkte Augenmuscheln, wie sich ihr Schatten herabbeugte.

»Raus aus dem Wasser, Ellie!«

Ich zog mich mit Mühe auf die Fliesen hoch, kauerte dort mit zuckenden Muskeln im Schneidersitz, während das Nass von mir rann, bis ich in einer Pfütze thronte. Sie gab den anderen die Signale für die nächste Serie, Bahn für Bahn, und ging dann neben mir in die Hocke. Ich zog die Schwimmbrille runter, rechnete damit, sie wütend zu sehen. Aber sie sah stattdessen besorgt aus – einen kurzen Moment fast wohlwollend.

»Was ist?«

»Nichts.«

»Da habe ich aber einen ganz anderen Eindruck.«

Und da liegst du vielleicht gar nicht falsch, dachte ich. Aber glaub mir, Coach, du wärst die Letzte, der ich mein Herz ausschütten würde.

Die feuchte, desinfizierte, gechlorte Luft wurde den ganzen Herbst und Winter über unsinnig warm gehalten. Trotzdem fröstelte mich. Sie rief Zeiten aus, pfiff ab zu einer weiteren Wiederholung.

Sie bot mir eine Hand, und ich nahm sie, stand unsicher auf. »Dusch heiß und geh in die Ambulanz.«

»Ich habe Vorlesung.«

»Dann geh während des Nachmittagstrainings hin.«

Ich schwor mir, das nicht zu tun. Aber ich hatte nicht die Kraft, mich an diesem Tag offen aufzulehnen. Ich schnappte mir also mein Zeug und machte mich auf den Weg zum Umkleideraum, ganz Teamsprecherin, Coachs Liebling, ein Muster an Gehorsam. Und überlegte, während ich über die Fliesen platschte, ob sie mich nicht vielleicht immer genau so hatte haben wollen. Gefügig. Ich wusste es nicht, und einem Teil von mir war es egal. Wenn ich mich ihr nicht offen entgegenstellen konnte, würde ich sie auf andere Weise bekämpfen.

Bevor ich die Halle verließ, drehte ich mich um, um den Brustschwimmerinnen zuzusehen. Allesamt bei einer Serie von 50er Wiederholungen. Babe war allen Längen voraus, auf ihrer eigenen Bahn, auf ein eigenes und schnelleres Intervall gesetzt.

Ich duschte kalt. Dann steckte ich auf dem Weg zu meinem Spind schlotternd den Kopf zum Erste-Hilfe-Raum hinein, wo Etta Ace-Bandagen rollte. Sie sah mich und grinste.

»Kurz ausstreichen, Ellie Marks? Coach hat diese Woche Massage für dich angeordnet.«

»Ach was. Ich bin zäh.«

»Zäh wie Eisen oder zäh wie Stahl? Überleg’s dir gut. Denk daran, Eisen biegt sich, Stahl bricht. Manchmal müssen wir uns biegen, um in dieser Welt zurechtzukommen.«

»Genau«, sagte ich, »erzähl das mal unserer Trainerin.«

Sie lachte.

Ich trocknete mich ab und schwitzte schon wieder. Und gleichzeitig war mir so kalt, dass ich tatsächlich mit dem Gedanken spielte, das eklige, längst in die Wäsche gehörende Sweatshirt, in dem ich normalerweise Gewichte hob, aus dem Spind zu zerren und über die sauberen Sachen, Hemd und Pullover, anzuziehen. Aber ich wollte nicht stinken.

Beim Treppensteigen hörte ich Brenna Allens Trillerpfeife vom Becken hallen. Ich hörte das Platschen einer Beinschlagserie – lockere, überstreckte Fußknöchel und Zehen im Wachsstiftwasser, explosives Schlagen der Unterschenkel. Es klang alles sehr weit weg. Wie ein schwaches Echo aus einer anderen Welt, durch eine Wand zu mir herüberdringend, längst nicht laut genug, um meine Aufmerksamkeit zu fesseln.



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