Junger Mann by Wolf Haas

Junger Mann by Wolf Haas

Autor:Wolf Haas
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783455003895
Herausgeber: Hoffmann und Campe Verlag


27

Je weniger man aß, umso mehr Wasser gab der Körper ab. Wahrscheinlich wegen dem Salz. Schon seit Schwarzach traute ich mich nicht zu erwähnen, dass der Mensch eine Blase hat. Und inzwischen waren wir in Kärnten. Wenigstens war der Tscho keiner, der einen zum Lachen brachte. Wahrscheinlich hatte er vor, bis zur Grenze durchzufahren, und wenn wir nicht noch in einen Stau kamen, würde ich schon ohne Blasenriss überleben. Hoffte ich. Dummerweise fiel mir ein, was der Chef einmal erzählt hat. Dass Fernfahrer ihr Geschäft manchmal während der Fahrt aus dem Führerhaus hinaus verrichteten. Falls das stimmte, konnte ich mich ja immer noch umbringen, indem ich mich aus der Tür fallen ließ. Gerade als ich bei diesem tröstlichen Gedanken angekommen war, blinkte der Tscho doch noch, zog den Scania in eine Parkbucht und rief: »Brunzpause!«

Ich war froh, dass ich auf meiner Seite hinuntersteigen konnte und so meinen eigenen Reifen hatte. Mir war es sowieso schleierhaft, warum die Leute sich so gern nebeneinanderstellten. Selbst im Internat ging ich lieber fünf Minuten zum einsamsten WC hinter dem Festsaal, damit ich meine Ruhe hatte und keine Gespräche führen musste. Und mit dem Tscho musste das schon gar nicht sein. Ein 30 Tonnen schwerer Lastwagen zwischen uns war genau richtig für die Privatsphäre.

Für den Tscho war es natürlich umgekehrt. Der wurde ausgerechnet jetzt gesprächig. Als könnte er nur alle Schleusen gleichzeitig öffnen, schrie er über den Scania herüber: »Meine Frau sagt, du willst Pfarrer werden!«

»Sehr witzig«, murmelte ich.

»Was sagst?«, büllte der Tscho.

»Nichts!«, brüllte ich zurück.

Der Lärm der vorbeidonnernden Autos half mir, seine plötzlich einsetzende Gesprächigkeit zu ignorieren, und beim Einsteigen schaute er noch verschlossener als zuvor. Ich fragte mich, ob wir uns auf dieser Fahrt immer nur von Reifen zu Reifen über die Kabine hinweg unterhalten würden. Aber als er den Laster schon wieder vom Rastplatz auf die Straße steuerte, schiss er den Seitenspiegel zusammen: »Sag!«

»Was?«

»Meine Frau sagt, du willst Pfarrer werden.«

»So ein Blödsinn!«, stöhnte ich. »Die spinnt.«

»Das sag ich auch immer«, lachte er.

Ich lachte nicht. Es wurmte mich, dass sie mit ihm über mich geredet hat.

»Ich werd sicher nicht Pfarrer.«

»Wieso nicht? Da hast immer eine sichere Stelle. Und Weiber hast mehr als jeder andere.«

Zum Glück kamen im Radio Verkehrsmeldungen, die den Tscho auf andere Gedanken brachten. Zehn Kilometer hinter uns war ein schwerer Unfall passiert. Kurz nach der Meldung kamen uns drei Rettungswagen mit Blaulicht entgegen, und der Tscho stieß verächtlich die Luft aus, als könnte er sich den Idioten schon vorstellen, der da von der Straße abgekommen ist.

Ein paar Kilometer vor der jugoslawischen Grenze sprang der Sender um, und ich konnte den Radiosprecher nicht mehr verstehen.

»Ist das Jugoslawisch?«, fragte ich.

»Jugoslawisch gibt’s nicht.«

Er versuchte, den Sender zu verstellen, aber es kam immer wieder derselbe Sprecher aus dem Radio neben dem Fotorahmen, aus dem die Elsa mich anlächelte. »Das ist Slowenisch. Und weiter unten heißt es Serbokroatisch. Lernt ihr so was nicht in der Schule?«

Obwohl ich kein Wort verstand, hatte ich das Gefühl, ich müsste mich nur konzentrieren, und von einem Moment auf den anderen würde ich alles verstehen.



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