Jedermann by Philip Roth

Jedermann by Philip Roth

Autor:Philip Roth [Roth, Philip]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Carl Hanser Verlag
veröffentlicht: 2015-12-01T16:00:00+00:00


Als er aus New York geflohen war, hatte er die Küste als seine neue Heimat gewählt, weil er schon immer gern in der Brandung gebadet und mit den Wellen gekämpft hatte, weil er mit dem Strand dieses Teils von Jersey glückliche Kindheitserinnerungen verknüpfte, weil er, auch wenn Nancy nicht in seine Nähe zöge, nur eine gute Stunde von ihr entfernt wäre und weil das Leben in einer entspannenden, behaglichen Umgebung seiner Gesundheit nur guttun konnte. Außer seiner Tochter gab es keine Frau in seinem Leben. Sie versäumte es nie, ihn morgens, bevor sie zur Arbeit ging, anzurufen; ansonsten aber läutete sein Telefon nur selten. Er versuchte nicht mehr, die Zuneigung der Söhne aus seiner ersten Ehe zu erringen; er hatte weder ihrer Mutter noch ihnen selbst jemals etwas recht machen können, und der Widerstand gegen die ewigen Vorwürfe und die von seinen Söhnen vorgebrachte Version der Familiengeschichte hätte von ihm ein Maß an Kampfbereitschaft verlangt, das aus seinem Arsenal verschwunden war. An die Stelle der Kampfbereitschaft war eine unendliche Trauer getreten. Wenn er in der Einsamkeit seiner langen Abende der Versuchung erlag, einen von beiden anzurufen, empfand er hinterher nur Trauer, Trauer und das Gefühl der Niederlage.

Randy und Lonny waren die Quelle seiner tiefsten Schuldgefühle, aber er konnte nicht mehr damit fortfahren, ihnen sein Verhalten zu erklären. Als sie erwachsen geworden waren, hatte er es oft genug versucht – aber damals waren sie noch zu jung und zu wütend gewesen, um ihn zu verstehen, und jetzt waren sie zu alt und zu wütend, um ihn zu verstehen. Aber was gab es da überhaupt zu verstehen? Ihm war das unerklärlich – daß sie sich immer noch richtig daran aufgeilen konnten, daß sie ihn an den Pranger stellten. Was er getan hatte, hatte er auf seine Weise getan, so wie sie, was sie taten, auf ihre Weise taten. War ihre sture Unversöhnlichkeit vielleicht weniger unverzeihlich? Oder in ihrer Wirkung weniger verletzend? Er war einer von Millionen amerikanischen Männern, deren Familie durch eine Scheidung auseinandergebrochen war. Aber hatte er ihre Mutter geschlagen? Hatte er seine Söhne geschlagen? Hatte er es ihrer Mutter oder ihnen an Unterstützung fehlen lassen? Hatte irgendeiner von ihnen ihn jemals um Geld anbetteln müssen? War er nur ein einziges Mal wirklich streng gewesen? Hatte er nicht auf jede erdenkliche Weise versucht, sich mit ihnen auszusöhnen? Was hätte sich denn vermeiden lassen? Was hätte er denn, um für sie akzeptierbarer zu werden, anders machen können – außer dem einen, was er nicht tun konnte, nämlich weiterhin mit ihrer Mutter verheiratet zu bleiben und mit ihr zusammenzuleben? Entweder sie verstanden das, oder sie verstanden das nicht – und, traurig für ihn (und für sie): sie verstanden es nicht. Ebensowenig konnten sie jemals verstehen, daß er dieselbe Familie verloren hatte wie sie. Zweifellos gab es auch Dinge, die er selbst immer noch nicht verstand. Und das war nicht weniger traurig. Niemand konnte behaupten, es sei nicht genug Traurigkeit oder nicht genug Bedauern vorhanden, um die Fuge von Fragen hervorzurufen, mit der er die Geschichte seines Lebens zu verteidigen versuchte.



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