Irak by Liselotte Abid

Autor:Liselotte Abid
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783853718278
Herausgeber: Promedia Verlag
veröffentlicht: 2015-03-23T16:00:00+00:00

Konfessionalisierung auf dem Rücken der Frauen

»Wer glaubt, die Grenze der Frauenrechtsverletzungen wäre schon erreicht, der täuscht sich«, warnte die irakische Schriftstellerin und Frauenrechtsaktivistin Haifa Zangara in einem Kommentar in der britischen Tageszeitung Guardian.188 Zangara kritisiert darin, dass der irakische Ministerrat am 25. Februar 2014 der Änderung des bisherigen Personenstandsrechts zugestimmt und damit traditionelles dschafaritisches Recht etabliert hat. Der Ministerrat genehmigte einen aus 215 Artikeln bestehenden Gesetzesentwurf der schiitischen Fadhila-Partei, der immense Nachteile für irakische Frauen vorsieht.

Um nur einige Beispiele für neue Diskriminierungen von Frauen zu nennen: Artikel 16 legt das gesetzliche Heiratsalter für Mädchen auf neun Jahre und für Jungen auf 15 Jahre fest. Bei der Zustimmung des Erziehungsberechtigten, das sind in der Regel Vater oder Großvater, kann die Altersgrenze sogar noch niedriger sein. Artikel 104 wiederum ermöglicht uneingeschränkte Polygamie, die im Irak der vergangenen Jahrzehnte fast unmöglich war, da die erste angetraute Frau der Heirat einer weiteren Ehefrau zustimmen musste. Auch war der Bildungsstandard viel zu hoch, als dass solch antiquierte Traditionen praktiziert wurden. Artikel 101 des neuen Gesetzesentwurfs spricht Männern das Recht auf uneingeschränkten Sex mit ihren Ehefrauen zu, was einerseits Vergewaltigung in der Ehe und andererseits Zeit-Ehen legalisiert. Artikel 63 verhindert die Eheschließung zwischen muslimischen Männern und nicht-muslimischen Frauen. Ehen auf Zeit und nicht-registrierte Ehen waren vor 2003 verboten. Die steigende Anzahl von Frauen, die von bitterer Armut betroffen sind, oder von Witwen, werden für diese diskriminierenden Eheformen instrumentalisiert und missbraucht. Laut Artikel 126 sind Männer nicht verpflichtet, ihren Frauen Unterhalt zu zahlen, wenn diese nicht in der Lage sind, ihren Mann sexuell zu befriedigen. Dies trifft junge Mädchen und ältere Frauen am härtesten.

In all den genannten Fällen ignoriert der dschafaritische Gesetzesentwurf den Artikel 2 der UN-Deklaration zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Darin heißt es gleich zu Beginn: ,,Unter Gewalt gegen Frauen sind, ohne darauf beschränkt zu sein, die folgenden Handlungen zu verstehen: a) körperliche, sexuelle und psychologische Gewalt in der Familie, einschließlich körperlicher Misshandlungen, sexueller Missbrauch im Haushalt, Gewalttätigkeit im Zusammenhang mit der Mitgift, Vergewaltigung in der Ehe (…) und Gewalttätigkeit in Zusammenhang mit Ausbeutung«.189

Die parlamentarische Abstimmung wurde aufgrund der jüngsten Krise rund um den Vormarsch des „Islamischen Staates“ vertagt. Falls es aber zur endgültigen Durchsetzung des dschafaritischen Personenstandsgesetzes kommt, so stellt dies nicht nur aus frauenpolitischer Sicht einen massiven Rückschlag für die wenigen verbliebenen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts dar. Vielmehr werden damit auch die anderen religiösen Gemeinschaften, allen voran die Sunniten, aufgefordert, es den Schiiten gleich zu tun und ein eigenes religiös-inspiriertes Personenstandsgesetz festzulegen. Letztlich vertieft sich dadurch die konfessionelle Spaltung des Irak und diese wird nur allzu oft blutig und auf dem Rücken der Frauen ausgetragen.

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