Interesse am Anderen by Gerhard Schreiber

Interesse am Anderen by Gerhard Schreiber

Autor:Gerhard Schreiber
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: De Gruyter
veröffentlicht: 2019-10-21T10:02:10.452000+00:00


VII

Selbstaufhebung der religiösen Vorstellung

Vorstellendes Bewusstsein beginnt mit Erinnerungen an Anschauungen. In der Erinnerung ist „der vorgestellte Inhalt noch derselbe wie in der Anschauung“ (§ 451). Erinnerungen sind verinnerlichte Anschauungen. Dies kann durchaus als Hegels Theorie des Unbewussten verstanden werden. „Niemand weiß, welche unendliche Menge von Bildern der Vergangenheit in ihm schlummert; zufälligerweise erwachen sie wohl dann und wann, aber man kann sich, wie man sagt, nicht auf sie besinnen. So sind die Bilder nur auf formelle Weise das Unsrige“ (§ 453). Wirklich angeeignet, zu unserem geistigen Besitz, werden die inneren Bilder erst durch die reproduktive Einbildungskraft. Das Hervorrufen und die Assoziation von Erinnerungen ist das Werk der Einbildungskraft. Sie bewirkt „das Hervorgehen der Bilder aus der eigenen Innerlichkeit des Ich“ (§ 454).

Unter Vorstellung wird also zunächst ein bildlicher Ausdruck verstanden, der von einem anschaulichen Eindruck stammt, der verinnerlicht, d. h. unbewusst aufbewahrt wird. Die bewusste Erinnerung an Angeschautes wird bewirkt durch die „symbolisierende, allegorisierende oder dichterische Einbildungskraft“ (§ 456). Als freie Phantasie erweckt die Einbildungskraft den Inhalt der ursprünglichen Anschauung zu neuem Leben. Allerdings ist das „von der Phantasie produzierte Bild […] nur subjektiv anschaulich“ (§ 457); das in der Erinnerung reproduzierte Bild ist nur für das innere Auge des Betrachters zugänglich. Um den Gehalt wirklich in seiner Anschaulichkeit zu reproduzieren, muss die Repräsentation dieses Gehaltes auch von außen und für andere zugänglich sein. Zu diesem Zweck muss das Bild den Inhalt auf eine Weise vertreten und repräsentieren, der von den inneren, subjektiv gegebenen Bildmomenten unabhängig ist. Diese Relation ist die Bedeutung, welche das Bild erhält, das Bild wird so zum Zeichen. Die höchste Form der Einbildungskraft ist daher die „Zeichen machende Phantasie“ (§ 457).

Ein Zeichen ist vom Symbol unterschieden. Das Symbol steht noch in einem inhaltlichen Bezug zum Material der Anschauung, das es repräsentiert. Der Inhalt eines Zeichens steht dagegen in einem vollkommen äußerlichen und zufälligen Verhältnis zum anschaulichen Inhalt des repräsentierten Gehaltes. Das herausragende Beispiel für ein Zeichen, das einen Inhalt repräsentiert, ohne diesen Inhalt anschaulich abzubilden, ist das sprachliche Zeichen, genauer der Name, der eine Sache vertritt. „Bei dem Namen Löwe bedürfen wir weder der Anschauung eines solchen Tieres noch auch selbst des Bildes, sondern der Name, indem wir ihn verstehen, ist die bildlose, einfache, Vorstellung“ (§ 462).

Das Vermögen dieser äußerlichen Verknüpfung nennt Hegel das Gedächtnis. Anders als die Umgangssprache unterscheidet Hegel Erinnerung von Gedächtnis. Das Gedächtnis besteht aus Zeichen, die den Inhalt des Gehörten und Gesehenen durch Benennung und Bezeichnung repräsentieren, nicht durch isomorphe, bildhafte Wiederholung. Ein entwickeltes kulturelles Gedächtnis besteht daher nicht nur aus Stimmen und Bildern, sondern ganz entscheidend aus Texten und Konzepten, aus symbolischen und sprachlichen Repräsentationen des Gehaltes erinnerter Wahrnehmung. Daher findet Hegels Theorie der Sprache ihren ersten systematischen Ort im Kontext seiner Analyse des Gedächtnisses. Das Gedächtnis, in dem das Material der erinnerten Anschauung in äußerliche Zeichen und Namen transformiert wird, markiert zugleich die Schwelle des Überganges vom vorstellenden Bewusstsein zum begreifenden Denken, das die Wahrheit des ursprünglich Angeschauten und Erinnerten auf den Begriff bringt.

Das produktive Gedächtnis verknüpft den Namen einer Sache



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