Ines oeffnet die Tuer by Markolf Hoffmann

Ines oeffnet die Tuer by Markolf Hoffmann

Autor:Markolf Hoffmann [Hoffmann, Markolf]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ueberreuter
veröffentlicht: 2012-08-14T22:00:00+00:00


27.

Nach der vierten Partie stand zweierlei fest: dass Ines nie eine Schachmeisterin werden würde und Vopelian umsonst durch den Nebel gewandert war.

Denn das Buch, das er aus seinem Refugium geholt hatte, war keine Hilfe: Es war von vorne bis hinten in Altgriechisch geschrieben. Ines konnte nicht einmal die Buchstaben lesen.

Das Buch war alt, vielleicht nicht so alt wie Vopelian, aber beeindruckend genug: gebunden in sprödes Leder, die achtzig Seiten fest und dick, die blasse Schrift mit geheimnisvollen Zeichnungen illustriert. In den Einband war ein goldenes Symbol geprägt, das Ines an eine geborstene Kugel erinnerte.

»Wie soll ich das lesen?«, fragte sie Vopelian. »Ich kann kein Griechisch.«

»Ich werde es dir beibringen«, bot er an. »Wenn wir uns nun öfter sehen …«

Das dauerte Ines zu lange.

»Könntest du mir das Buch nicht vorlesen?«, lautete ihr Gegenvorschlag.

Aber das lehnte Vopelian ab. Er schien froh, das Buch los zu sein, und wollte nicht mehr darüber sprechen.

Nach dem vierten Schachspiel verabschiedete er sich daher, nicht ohne Ines das Versprechen abzunehmen, das Treffen bald zu wiederholen.

»Gehab dich wohl, Nachbarin«, sagte er, als er durch das Fenster zurück in den Nebel stieg. »Beim nächsten Mal wirst du mich bestimmt schlagen. An Klugheit fehlt es dir nicht, nur an Übung.«

»Du klingst wie meine Lehrerin in der Schule«, scherzte Ines und schloss das Fenster hinter ihm.

Dann schnappte sie das Buch und warf sich in den Sessel. Neugierig blätterte sie in den alten Seiten.

Also gut, fasste sie zusammen. Ein wenig schlauer bin ich schon. Ich weiß, dass es andere Refugien gibt, in denen andere Menschen leben. Ich weiß, dass Vopelian ein zweitausend Jahre alter Spinner aus Athen ist. Und ich weiß, dass man nicht umkommt, wenn man das Fenster aufmacht.

Sie fragte sich, ob Agnes auch im Nebel verschwunden war. War das nicht eine mögliche Erklärung? War sie ins Refugium geflohen und durch das Fenster nach draußen geklettert, um sich vor dem geheimnisvollen Mann zu verstecken, der sie im Dorf besucht hatte?

Fragen über Fragen. Und die Antworten warteten in diesem Buch – das sie nicht lesen konnte!

»Vopelian wird mir nicht helfen, es zu verstehen«, sagte sie nachdenklich, während sie das Buch in den Händen wog. »Wen könnte ich noch fragen? Papa vielleicht?«

Nein, auf keinen Fall. Veith würde bloß fragen, woher Ines das Buch hatte. Außerdem konnte er kein Altgriechisch.

Herr zu Hausen! Natürlich, warum war sie nicht gleich auf ihn gekommen? Herr zu Hausen konnte das Buch bestimmt übersetzen. Sie musste ihm nur einschärfen, ihrem Vater nichts davon zu sagen.

Nun war sie Feuer und Flamme. Rasch räumte sie das Schachspiel zusammen, das Vopelian zurückgelassen hatte, schnappte sich das Buch und die Kanne mit der inzwischen erkalteten Schokolade und stürmte aus dem Refugium.

Draußen verhallten gerade die letzten Klänge der Miranda-Kersh-CD. Ines hatte vergessen, die Anlage im Wohnzimmer auszuschalten, ehe sie ins Refugium gegangen war. Es war also nur eine halbe Stunde verstrichen, während sie mit Vopelian Schach gespielt hatte.

Ohne lange zu zögern, klingelte sie beim Nachbarn.

Es dauerte eine Weile, bis Guido zu Hausen öffnete. Die Augen hinter seinen Brillengläsern waren noch kleiner als sonst. Offenbar hatte Ines ihn aus dem Nachmittagsschlaf gerissen.



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