In einer Person by Irving John

In einer Person by Irving John

Autor:Irving, John [John, Irving,]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-257-60190-9
veröffentlicht: 2013-11-07T16:00:00+00:00


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Eine Aktion

Zum vorletzten Mal sah ich Miss Frost 1961 bei einem Ringerwettkampf der Favorite River Academy gegen eine andere Schule. Es war der erste Heimwettkampf der Saison, und Tom Atkins und ich gingen zusammen hin. Die Ringerhalle (ehemals die einzige Sporthalle der Favorite River Academy) war ein uraltes Backsteingebäude und durch einen unbeheizten überbauten Gang mit der moderneren, größeren Sporthalle verbunden.

Rund um die alte Halle, über dem Innenbereich, war eine hölzerne Laufbahn, in den Kurven geneigt. Am Rand der Holzbahn, hinter einem Eisengeländer, saßen die zuschauenden Schüler, die Arme auf der mittleren Geländerstange. An diesem besonderen Samstag waren Tom Atkins und ich im Publikum und sahen auf die Ringer hinab.

Die Matte, der Kampfrichtertisch und die beiden Mannschaftsbänke nahmen den größten Teil des Hallenbodens ein. An einem Ende der Halle war eine kleine Tribüne mit gerade mal einem Dutzend Sitzreihen. Die Schüler betrachteten die Tribünenplätze als angemessene Sitzgelegenheiten für »ältere Herrschaften« – Lehrkräfte sowie Eltern auf Besuch. Auch einige Einheimische aus First Sister, die regelmäßig zu den Ringkämpfen kamen, saßen dort. An dem Tag, als Elaine und ich von der abschüssigen Holzbahn aus [421] Mrs. Kittredge dabei beobachtet hatten, wie sie ihren Sohn beim Ringen beobachtete, hatten wir sie keinen Moment aus den Augen gelassen.

Ich dachte gerade an diese erste und einzige Begegnung mit Mrs. Kittredge, als Tom Atkins und ich plötzlich Miss Frost entdeckten. Sie saß in der ersten Reihe der Tribüne, dicht an der Ringermatte. (Mrs. Kittredge hatte in der letzten Reihe gesessen, von den unter Ächzen und Grimassieren miteinander ringenden Jungs demonstrativ entrückt.)

»Schau nur, wer da ist, Bill – in der ersten Reihe. Siehst du sie?«, fragte mich Atkins.

»Ich weiß, Tom – ich sehe sie«, sagte ich. Ich fragte mich, ob Miss Frost regelmäßig die Ringkämpfe besuchte. Falls sie oft zu den Heimwettkämpfen kam – wie hatten Elaine und ich sie da übersehen können, groß und breitschultrig, wie sie war? Zumal wenn sie wie jetzt in der ersten Reihe saß?

Miss Frost schien sich am Rande der Matte, wo sie den Ringern beim Aufwärmen zusehen konnte, sehr wohl zu fühlen. Ich bezweifelte, dass sie Tom Atkins und mich bemerkt hatte, denn sie sah nicht zur Laufbahn hoch – nicht mal während des Aufwärmens.

Weil Delacorte ein Leichtgewicht war, trat er in einem der ersten Kämpfe an. Wenn Delacorte schon Lears Narr als schleichenden Tod gespielt hatte, so tat er das an diesem Kampftag auch; es war eine Qual, ihn zu beobachten. Delacorte gelang es, einen Ringkampf so zu gestalten, dass er einem schleichenden Tod glich. Das Abkochen forderte seinen Tribut. Er hatte dermaßen viel Gewicht verloren, dass er nur noch aus schlaffer Haut und vorstehenden [422] Knochen bestand. Delacorte sah aus, als hungere er sich zu Tode.

Er war deutlich größer als die meisten seiner Gegner; oft lag er in der ersten Runde nach Punkten vorn, meist führte er auch noch am Ende der zweiten, wenn er allmählich müde wurde. In der dritten Runde zahlte Delacorte dann regelmäßig den Preis fürs Abkochen.

Gegen Ende jedes Ringkampfs hatte Delacorte seine liebe Mühe, einen immer kleiner werdenden Vorsprung zu verteidigen.



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