Ich gegen Osborne by Goebel Joey

Ich gegen Osborne by Goebel Joey

Autor:Goebel, Joey
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 978-3-257-60286-9
Herausgeber: Diogenes Verlag AG


[254] Deutsch II

12.13 Alle blökten wie unterernährte Lämmer über die Abschlussballtragödie, und die Klingel hatte keine Macht über sie, da Mr. Hulette den Unterricht normalerweise mit mindestens zehn Minuten Verspätung begann. Keiner saß still, und ihre bleichen Gesichter verstummten nicht, die zarten Kiefer betrauerten, dass sich ihre kleine Welt in Auflösung befand. Ihre Frisuren waren verrutscht, und ich glaubte, Schweiß zu riechen. Ihre Gespräche waren abgehackt und stockend, und ständig fiel das Wort »Gott«. Meine Ohren schnappten einen beunruhigenden Gesprächsfaden zwischen dem Maskottchen und dem Hipster aus Kreatives Schreiben auf:

»Für wen hält er sich eigentlich?«

»Aber echt. Der hat wirklich Nerven, versaut es allen.«

»Aber wie hat er das überhaupt geschafft, dass man ihn absagt?«

Den Rest bekam ich nicht mehr mit, da die Jungs leiser wurden und sich mein Herzschlag unmöglich ignorieren ließ.

Stephanies vulgäre Lippen hatten sich offenbar doch umgehend ans Werk gemacht. Da ich wusste, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis man mich direkt anging, versuchte ich mich zu beruhigen und mir eine mögliche [255] Reaktion zu überlegen. Dann kam Chloes Freundin Christy herein, ein Mädchen, das sich am besten mit in jeder nur denkbaren Hinsicht als durchschnittlich beschreiben ließ, und reichte mir ein gefaltetes Blatt aus einem Notizblock, auf dem in hübscher, eleganter Handschrift mein Name stand.

»Das soll ich dir geben.«

»Danke.« Das war eine der wenigen Gelegenheiten, bei der wir miteinander gesprochen hatten. Man sollte meinen, mit Chloe als gemeinsamer Freundin hätten wir uns häufiger unterhalten, doch Christy sprach hauptsächlich mit dem Jungen, der links von mir saß (und auch Verbindungen zu Chloe hatte), während ich hauptsächlich mit Mr. Hulette sprach, da ich Erwachsene vorzog.

Während ich horchte, ob hinter mir mein Name erwähnt wurde, faltete ich den Zettel auf, dankbar für die Ablenkung. Falls Mr. Hulette sah, wie ich so einen Zettel entfaltete, würde er sich bestimmt über mich lustig machen, doch er war damit beschäftigt, einen zweiten Schüler auf den neuesten Stand zu bringen, und musste all das wiederholen, was er dem Maskottchen gerade gesagt hatte.

Noch nie hatte ich so einen Brief bekommen. Mich amüsierte, dass ich ausgerechnet zu dem Zeitpunkt an diesen Teenager-Aktivitäten teilnahm, als meine sämtlichen Verbindungen zu meiner Altersgruppe jeden Moment dauerhaft durchtrennt werden würden.

12.15 Lieber James,

ich weiß, wie sehr es dich irritiert, wenn Leute einander Briefchen schreiben und sie so zusammenfalten wie [256] das, was du gerade in den Händen hältst. Verzeih mir also, dass ich mich zu dieser kindischen Form der Kommunikation herablasse. Aber da ich dir in der Cafeteria nicht alles sagen konnte, was ich auf dem Herzen hatte, hole ich es jetzt nach.

Ich schreibe das im Computerraum. Mr. Eadies Einführung in die Computerkunde. Genau wie immer haben alle die Aufgabe erledigt und reden jetzt nur noch. Mir wäre es übrigens lieber, er hätte uns mehr Arbeit gegeben. Hier gibt es keinen, mit dem ich reden könnte. Im Moment reden alle über den Ball. Einige scheinen von Panik ergriffen zu sein. Ziemlich lustig. Verzeihung. Das war gemein von mir. Aber es ist wirklich lustig. Manchmal habe ich den Eindruck, dass sie im Leben noch nicht viel durchgemacht haben.



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