Hitler by Brendan Simms
Autor:Brendan Simms
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Deutsche Verlags-Anstalt
15
Die »Besitzenden« und die »Habenichtse«
1939/40
Am 1. September 1939 griff die Wehrmacht Polen an. Am selben Tag absolvierte Hitler einen sorgfältig inszenierten Auftritt vor dem versammelten Reichstag. Er wandte sich an zwei Zuhörerschaften. Die eine war das deutsche Volk, dem gegenüber er seine Entscheidung für den Krieg zu rechtfertigen und dessen Moral er zu stärken versuchte. Es werde »keine Entbehrungen für Deutsche geben«, versprach er, »die ich nicht selber sofort übernehme«. Zugleich hob er seine Rolle als »erster Soldat des Deutschen Reiches« hervor; als Zeichen dafür hatte er ein einfaches graues Jackett angelegt. Die zweite Zuhörerschaft waren die Westmächte, deren Eingreifen er unbedingt verhindern wollte. Er beteuerte, dass er »keine Interessen im Westen« habe und der Westwall »für alle Zeiten die Grenze des Reiches« sein werde. Er unterstrich, dass es keine Kapitulation geben werde. »Der Umwelt möchte ich versichern«, schwor er: »Ein November 1918 wird sich niemals mehr in der deutschen Geschichte wiederholen.« 1 Es war die erste von mehreren Reden, die er in den nächsten sechs Jahren dazu nutzte, Botschaften auszusenden. »Jetzt im Krieg muss ich jedes Wort auf die Goldwaage legen«, erklärte er, »denn die Welt ist aufmerksam und hellhörig.« Doch er wollte die Zahl seiner Redeauftritte beschränken, denn es sei »gefährlich, Reden zu halten, ohne dass ein plausibler Grund für sie vorliege«. 2
Der Polenfeldzug war ein überwältigender Erfolg. 3 Danzig wurde handstreichartig eingenommen. Die deutschen Panzer überwanden die Grenzbefestigungen problemlos und stieÃen rasch ins Landesinnere vor. Der Angriffsplan war zwar von der Militärführung ausgearbeitet worden, aber unter erheblicher Beteiligung Hitlers. 4 Er hatte die Angriffsvorbereitungen als VerteidigungsmaÃnahmen getarnt und das Kommandounternehmen gegen die Brücke bei Dirschau bis ins Einzelne selbst geplant. Noch wichtiger war, dass er darauf bestanden hatte, dass die Zangenbewegung von OstpreuÃen aus nicht auf die Sicherung des polnischen Korridors beschränkt, sondern weit gröÃer angelegt sein sollte, um so viele polnische Truppen wie möglich gefangen zu nehmen. 5 In die operative Leitung des Feldzugs griff er indes nicht ein, lieà sich aber zweimal am Tag telefonisch Bericht erstatten. Er begab sich kurz nach Beginn der Feindseligkeiten auf die erste von mehreren, propagandistisch hinausposaunten »Frontfahrten«, um seine Verbundenheit mit den Soldaten zu unterstreichen. Diese Besuche waren nicht ganz ungefährlich, da er sich Luftangriffen und sogar möglichem Beschuss aus den eigenen Reihen aussetzte, im Ganzen aber waren sie Propagandastunts. 6 Wenn Hitler an Brücken und Furten oder in Feldlazaretten auftauchte, gab es jedes Mal Gelegenheiten für Schnappschüsse, die dazu dienten, den Eindruck von Tatkraft und Allgegenwart zu vermitteln. Die Polen erwiesen sich als ernstzunehmende Gegner, deren Gegenwehr auf deutscher Seite fast 50 000 Opfer forderte, darunter rund ein Viertel Gefallene. An der Bzura hatten sie sogar einen massiven Gegenangriff auf die deutschen Truppen unternommen, die von Südwesten auf Warschau vorrückten. 7 Zwei Wochen nach Beginn des Feldzugs war Hitler besorgt genug, um die Sowjetunion zu drängen, schneller einzugreifen. Am 17. September rückten sowjetische Truppen von Osten her ein und verringerten dadurch den auf der Wehrmacht lastenden Druck erheblich. Deutsche und sowjetische Verbände trafen sich bei Brest-Litowsk. Bald darauf brach der polnische Widerstand zusammen.
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