Hinter Sibirien by Katerina Poladjan & Henning Fritsch

Hinter Sibirien by Katerina Poladjan & Henning Fritsch

Autor:Katerina Poladjan & Henning Fritsch [Poladjan, Katerina]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783644123915
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2016-09-18T23:00:00+00:00


Wir fahren in eine Landschaft, in der sich weite verschneite Ebenen mit struppig bewaldeten Hügeln abwechseln. Der Himmel bietet keine Überraschung, er ist wolkenlos und stahlblau. Wir gleiten sanft dahin. Ein mit Schnee beladener Lastwagen kommt uns entgegen. Meine Gedanken gleiten ihm sanft hinterher. Niemand würde eine Schubkarre mit Sand durch die Wüste schieben, denke ich, aber wo viel Schnee liegt, ist er an vielen Stellen im Weg, und man beginnt, den Schnee von A nach B zu räumen.[*] Nächtliche Straßen in Blagoweschtschensk sind im flackernden Licht der gelben Warnleuchten Umschlagplatz für die weiße Ware. Nur hier draußen darf der Schnee einfach so herumliegen, wie erwartet stecken Birken darin.

«Die Natur ist das Beste hier», brummt Andrej und treibt den Wagen über die Piste, «im Winter wie im Sommer. Die extremen Wetterbedingungen machen auch die Menschen irgendwie lässig. Kälte, Hitze, dann wieder Kälte. Das mag ich.»

Andrej ist noch keine zwanzig und betreibt nach eigener Auskunft den angesagtesten Club in Blagoweschtschensk, er organisiere Partys und Konzerte. «Ich habe mit ein paar Freunden eine kleine Firma. Wir machen Veranstaltungen, Konzerte, Events in Clubs, Partys, Open-Air-Festivals, Holi-Festivals, wo farbiges Pulver geworfen wird. Die großen Veranstaltungen finanzieren wir über Sponsoren, die kleinen machen wir selbst. Man gibt etwas Geld und bekommt hinterher mehr zurück.» Später will er uns seinen Club zeigen.

Wir halten an einer kleinen Holzhütte aus rohen Stämmen, mit einem spitzen blauen Dach und einer Zwiebel, wie sie auch auf Kirchen thront. Davor ein Schild: Комплекс Живононыи Источинк[*].

«Was tun wir hier?»

«Baden! Habt ihr ein Handtuch dabei?»

«Natürlich nicht!»

«Ihr könnt meins haben. Ich nehme mein Hemd.»

Die Holzhütte ist tatsächlich ein Badehaus. Drinnen, im dämmrigen Licht, das aus den schmalen Fenstern knapp unter der Dachschräge dringt, erkenne ich auf etwa vier Quadratmetern Grundfläche zwei Bänke an den Längsseiten und darüber eine Reihe von Haken für die Kleidung. In der Mitte führen einige Stufen und ein einfaches Holzgeländer hinunter in ein Loch. An den Rändern des Abgrunds wölbt sich ein dicker Eispanzer, der sich auf dem Fußboden der Hütte fortsetzt. Ich beuge mich vor, unten glänzt das Wasser schwarz wie Rohöl.

«Alle tun das hier im Fernen Osten», sagt Andrej. «Wir sind alle verrückt! Bei minus dreißig Grad schlagen wir ein Loch ins Eis und gehen baden. Alle schlafenden Zellen werden geweckt. Das Herz schlägt schneller, das Blut wird mit Sauerstoff versorgt, die Zellen zum Wachstum angeregt. Eine Verjüngungskur ganz umsonst. Deshalb sind wir hier im Fernen Osten auch alle so schön und werden nie krank! Einige werden richtig süchtig. Man muss das erlebt haben. Es ist wie eine Droge. Manche werden davon euphorisch, andere möchten danach nur schlafen. Es macht einfach glücklich! Aber windig darf es nicht sein. Denn der Wind ist der Teufel. Aber wir können ja direkt wieder ins Auto steigen.»

Katerina weicht zurück ins Freie: «Niemals werde ich dort hinuntersteigen.»



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