Hinter Rom beginnt das Zauberland - Malerisches Latium by Veronika Eckl
Autor:Veronika Eckl [Eckl, Veronika]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien
veröffentlicht: 2015-04-25T16:00:00+00:00
Etrusker ohne letzte Ruhe
Eine Spezialeinheit der Carabinieri ist in Latium Grabräubern auf der Spur
Sie kommen nachts, und sie kommen mit schwerem Gerät. Im stillen Etruskerland im Norden Roms, wo der Mond auf Lorbeer und Disteln scheint, machen sich die Ganoven geräuschvoll ans Werk. Mit Schaufeln, Hacken und Baggern brechen sie in unentdeckte Etruskergräber ein, nehmen uralte Schätze mit und hinterlassen zerstörtes Terrain. Seit Jahrhunderten geht das so, ein Ende ist nicht in Sicht. Grabräuber ist in Latium ein Beruf wie Bauer oder Immobilienmakler. Die Erde rund um Rom gibt schließlich nicht nur Tomaten, Oliven und Baugrund her, sondern auch jahrtausendealte Vasen und prächtigen Schmuck. Ein betuchter Käufer findet sich immer, die mühsame Arbeit lohnt sich. Und sie verschafft auch Befriedigung: Grabräuber sind Täter aus Leidenschaft. »Tombarolo zu sein ist nicht nur ein Beruf, sondern auch eine Berufung«, sagt der Carabiniere Roberto Lai nicht ganz ohne Pathos. »Deshalb ist es so schwer, die Grabräuber auszurotten.«
Lai, ein kleiner Mann im unauffälligen dunkelblauen Zivil-T-Shirt, mit Turnschuhen an den Füßen und mit einem schläfrigen Blick, der von einer Sekunde auf die andere ins Hellwache umspringen kann, kennt die Kriminellen, die er seit Jahrzehnten jagt. Er kennt sie sogar sehr gut, denn er begegnet ihnen häufig. In der Bar beim Ausgrabungsgelände von Cerveteri zum Beispiel, wo der Gesetzeshüter aus Rom seinen Espresso trinkt: Unauffällige ältere Herren nicken ihm kurz zu ohne zu lächeln und setzen ihre gedämpften Gespräche fort. »Das sind auch welche«, knurrt Lai finster, zieht die Sonnenbrille in sein rundes Gesicht und verlässt das Lokal. Seit seiner Kindheit begeistert er sich für Archäologie – um die Kunstschätze zu schützen, wurde er Carabiniere. Andere begeistern sich für Archäologie und werden Grabräuber. So ist das eben in Latium.
An diesem Morgen patroullieren Lai und seine Männer durch das Gelände der Nekropole von Cerveteri. In Tuff gehauen liegen hier die letzten Ruhestätten ganzer Etruskerfamilien unter Steineichen, Zikaden zirpen ihnen ein ewiges Totenlied. Sonst ist es still, nur ein paar Eidechsen rascheln durch die Hitze. Schmale Pfade führen durch die riesige Friedhofsstadt, doch niemand ist auf ihnen unterwegs. »Fünfhundertfünfzig Hektar voller Gräber«, sagt Lai, »und wissen Sie, wie viele davon als Touristenattraktion eingezäunt sind und bewacht werden?« Er lächelt, zornige Resignation liegt in seinen dunklen Augen: »Zehn Hektar! Nur zehn Hektar! Wollten wir alle Gräber schützen, müssten wir halb Latium abriegeln.« So aber grasen Schafe über unentdeckten Grabkammern, die die Etrusker auszustatten pflegten wie ihre Häuser. Sie schlugen Betten und Bänke in den Stein, stellten Weinkrüge und Ölkannen für das Jenseits bereit, legten den Verstorbenen Schwerter und Schmuck ins Grab – vom Leben nach dem Tod muss sich dieses Volk einiges versprochen haben. Latiums Bauern bewirtschaften ihre Felder über Schätzen, die internationale Sammler gerne in ihre Vitrinen stellen. »Man bezahlt jetzt sehr viel für die etruskischen Vasen; es gibt keinen Reisenden, der nicht eine besitzen möchte«, notierte schon Goethe 1787 in seiner »Italienischen Reise«. Zwar gehört, erklärt Lai, in Italien alles, was unter der Erdoberfläche liegt, dem Staat – doch der hat bei weitem nicht genug Geld, um das versteckte Erbe der antiken Völker selbst zu bergen.
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