Grenzfall by Merle Kröger

Grenzfall by Merle Kröger

Autor:Merle Kröger
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
Herausgeber: Argument Verlag
veröffentlicht: 2013-05-22T22:00:00+00:00


19. Juni 2012, Turnu Severin

Walachei, Rumänien

Mattie sitzt in der menschenleeren Lobby vom Green Hotel. Warum grün, hat sich ihr noch nicht erschlossen. Weder gibt es hier viele Grünpflanzen, noch scheint man besonderen Wert auf ökologische Kost zu legen. Die Atmosphäre ist eher realsozialistisch, obwohl das Hotel ein Neubau ist.

Sie hat einen langen Tag im Zug hinter sich, der sie quer durch Rumänien geschaukelt hat. Über die Karpaten, vorbei an gigantomanischen Industrieruinen und bunt gestrichenen Häusern mit Weinlaubengängen. Am Bahnhof von Turnu Severin hat Liviu eine Überraschung organisiert. Ein Mann um die dreißig mit dunklen Locken und Sex-Pistols-T-Shirt. Stellte sich als Georgel vor, Lehrer von Livius ältester Tochter, Geschichte und Deutsch. Außerdem Hobbyarchäologe und eigentlich seit einer Woche zu Ausgrabungen im Donaudelta unterwegs. Soweit sie verstanden hat, eine Art Sommercamp anarchistischer Historiker. Anhaltende Regenfälle und Überschwemmungen haben das verhindert, zu Georgels Unglück und Matties Glück.

Der Mann hinter der Rezeption hantiert mit zwei Handys, die beide gleichzeitig klingeln. Mattie döst in dem Kunstledersessel vor sich hin. Gäste scheint es in diesem Hotel sonst keine zu geben. Es ist heiß, schon um zehn Uhr morgens.

»Willkommen in Rumänien.« Georgel steht vor ihr, pünktlich und dem Anlass entsprechend gekleidet. Heißt, er hat die Sex Pistols gegen adidas eingetauscht. Seine stämmige Figur verdunkelt das helle Licht, das von draußen hereinscheint. Mattie blinzelt ihn an. Der Typ hinter der Rezeption wirft ihnen einen misstrauischen Blick zu.

»Hat der Angst, dass ich abhaue, ohne zu bezahlen?«

»Nee, der hat Angst, dass sein Hotel als Ţigani-Treffpunkt bekannt wird.«

»Was?« Plötzlich ist Mattie hellwach. »Aber hier ist doch niemand außer uns.«

Georgel guckt sie spöttisch an. Klar, er ist dunkler als der Durchschnittsrumäne, schwarze Haare, Goatie, Ohrring. »Mein Papa war Rom und meine Mutter ist Rumänin.« Er überlegt kurz. »Na ja, und du siehst auch nicht so ganz –« Er spricht den Satz nicht zu Ende. »Vergiss es. Komm, das Taxi wartet draußen.«

Mattie steht auf. Sie weiß nicht, ob sie lachen soll oder schlechte Laune kriegen. Aus Deutschland kennt sie eher die subtile Art der Ausgrenzung. Hier ist es offener Rassismus. Sie wirft dem Rezeptionisten einen scharfen Blick zu und folgt Georgel nach draußen. Demonstrativ steigt sie neben ihm hinten ins Taxi ein.

»Warum bist du Lehrer?«, fragt sie, als der Wagen losfährt. Gestern Abend hat er ihr erzählt, dass der Monatslohn eines Gymnasiallehrers unter dreihundert Euro liegt. Georgel wohnt bei seiner Mutter, eine eigene Wohnung ist zu teuer.

»Keine Ahnung.« Er macht sein Fenster auf. »Als Jugendlicher wollte ich mit dem ganzen Scheiß, wo gehör ich dazu und so, nichts zu tun haben. Ich war Punk. Nach der Öffnung der Grenzen bin ich ein paar Jahre durch Europa getrampt. Hab eine ganze Weile in einem besetzten Haus in Berlin gewohnt.« Er steckt sich eine Zigarette an, hält dem Fahrer auch eine hin, der dankend zugreift. Mattie nimmt ebenfalls eine. Sie hat lange nicht mehr geraucht. Heute ist ihr danach. »Dann ist mein Vater gestorben, ein Arbeitsunfall. Ich bin zurückgekommen und hab Deutsch und Geschichte studiert.« Er denkt einen Moment nach. »Es gab diese großartige Zeit direkt nach der Revolution, wo alle auf die Straßen gegangen sind, um zu diskutieren.



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