Grau by Jasper Fforde

Grau by Jasper Fforde

Autor:Jasper Fforde
Die sprache: de
Format: mobi
Herausgeber: Eichborn
veröffentlicht: 2011-11-30T09:18:50+00:00


Schule, Poesie, Co-op

2.1.01.05.002: Kinder besuchen die Schule bis zum sechzehnten Lebensjahr oder so lange, bis sie alles gelernt haben, welcher Fall auch immer zuerst eintritt.

Die Schule lag am Rand des Dorfes, zwei Straßen hinter dem Rathaus, gegenüber der Feuerwehr. Die Unfehlbarkeit der Regeln schloss die Architektur von Schulgebäuden ein, folglich waren alle Schulen im ganzen Kollektiv identisch, da bis heute kein besserer Bautyp entworfen, geschweige denn errichtet worden war. Ich fand mich daher sofort zurecht, und der Ort kam mir seltsam vertraut vor.

In der Eingangshalle blieb ich neben der Munsell-Büste stehen und las die häufig zitierten Worte, den Leitsatz der Schule: »Jeder Schüler des Kollektivs wird die Schule mit überdurchschnittlichen Fähigkeiten verlassen.« Erst nach einem Kurs in höherer Mathematik erkannte ich, dass das ein Ding der Unmöglichkeit war, da per definitionem nicht jeder Mensch überdurchschnittliche Fähigkeiten besitzen konnte.

»Es handelt sich hier um einen historischen Durchschnitt, der kurz nach dem Großen Ereignis fixiert wurde«, hatte mir mein Mentor Greg Scarlet erklärt, als ich einmal gewagt hatte, das Thema anzuschneiden. »Wie wäre es sonst möglich, einen Jahrgang mit einem anderen zu vergleichen? Außerdem: Ein Durchschnittswert, der zu einer Zeit festgelegt wurde, als der allgemeine Bildungsstand noch erheblich niedriger war als heute, garantiert, dass kein Schüler jemals wegen schulischen Versagens stigmatisiert wird.«

In dem Punkt hatte er recht. Weil aber weder Fähigkeiten noch Intelligenz entscheidend für den beruflichen Fortgang waren, spielte auch dieser Aspekt keine Rolle. Der Unterricht beschränkte sich im Allgemeinen auf die Fächer Lesen, Schreiben, Rechnen, Französisch, Musik, Geographie, Kochen und Regelbefolgung. Regelbefolgung hieß, man saß in einem Kreis und war sich darin einig, wie wichtig es war, die Regeln zu befolgen. Unter Schülern hieß das Fach auch Abnicken.

Ich begab mich zum Büro der Oberlehrerin und klopfte nervös an die Tür.

»Schön, dass Sie kommen konnten«, sagte sie, nachdem ich erklärt hatte, wer ich war und warum man mich hergeschickt hatte. Sie stellte sich mir als Miss Enid Bluebird vor. Sie hatte ein abgetragenes Tweedkostüm an, und ihr Gesichtsausdruck zeigte die Schicksalsergebenheit einer innerlich Zermürbten, was nicht weiter verwunderlich war, denn ihr Büro versank in Stapeln verstaubter und vergilbter alter Prüfungsarbeiten.

»Mir ist es gelungen, den Rückstand zu dezimieren. Er liegt jetzt bei achtundsechzig Jahren«, verkündete sie mit einem gewissen Stolz auf ihren Erfolg. »Gegen Ende des Jahrzehnts hoffe ich so weit zu sein, dass ich mit den Korrekturen der Arbeiten noch lebender Schüler anfangen kann.«

»Eine ehrenwerte Absicht«, antwortete ich und überlegte, wie ich bei dieser Gelegenheit behutsam meine Warteschlangentheorien ins Spiel bringen konnte. »Entschuldigen Sie meine Unverschämtheit, aber wäre es nicht besser, wenn Sie die Reihenfolge umkehren, sodass die jüngsten Prüfungsarbeiten zuerst korrigiert werden? So könnten die Schüler ihre Ergebnisse eher erfahren, und es würde, soweit ich das beurteilen kann, auch nicht gegen die Regeln verstoßen, denn die Ausrichtung der Warteschlange wird darin nicht näher spezifiziert.«

Sie sah mich scheel an, lächelte aber dann freundlich.

»Eine hübsche Idee«, sagte sie, und ich merkte, dass sie keinen Gedanken an meinen Vorschlag verschwendet hatte. »Aber da jeder Schüler über dem Durchschnitt liegt, ist es gar nicht nötig, das System zu verbessern.



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