Giganten by Claude Cueni

Giganten by Claude Cueni

Autor:Claude Cueni
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Wörterseh Verlag
veröffentlicht: 2015-01-02T00:00:00+00:00


Die Witwe Bartholdi

Charlotte Bartholdi stieg die schmale Wendeltreppe ins Pariser Atelier ihres Sohnes hinunter. Sie blieb am Fuß der Treppe stehen. »Frauen tun deiner Seele nicht gut, Frédéric, nicht jeder Mann braucht für ein glückliches Leben eine Frau. Du hast deine Kunst. Sie wird dich nie enttäuschen«, sagte sie und ließ den Blick über die mit unzähligen Gipsstudien und Entwürfen beladenen Regale entlang der Wände schweifen. »Das hier sind deine Kinder, Frédéric. Frauen sind wirklich nichts für dich. Glaub mir, eine Mutter spürt das.« Sie ging langsam zu ihrem Sohn, der sich über eine Skizze beugte. »Der Löwe hat dir schon imponiert, als du noch ein kleiner Junge warst«, flüsterte Charlotte und küsste ihren Frédéric auf die Stirn. »Und wenn die Freimaurer dich in die Loge aufnehmen, wirst du …«

»Ich habe schreckliche Dinge über diese Logen gehört«, mischte sich Charles ein. Kurz nach seiner Mutter hatte auch er das Atelier betreten. »Sie stammen vom Johanniterorden auf Malta ab, von den Malteser Kreuzrittern. Sie feiern schwarze Messen und opfern dem Teufel nackte Mädchen. Sie praktizieren den Kult des Todes. Und sie haben merkwürdige Aufnahmerituale: Der Novize muss alle Großmeister oral befriedigen, während die anderen zuschauen. Möchtest du das, Frédéric? Ausgerechnet du, der noch nie die Scham einer Frau geküsst hat?«

»Charles!«, empörte sich Charlotte.

»Das ist nicht wahr, Charles, alle Männer, die unsere Epoche prägen, sind Mitglied der Freimaurer«, wehrte sich Frédéric.

»Wenn du meinst … Falls sie dich aufnehmen, könntest du auch mich vorschlagen. Schließlich habe ich ein Zebra erschaffen und katholische Kaninchen vom Teufel befreit.«

»Charles, jetzt sei endlich still! Wir sind in einem ernsten Gespräch«, wandte sich Charlotte erneut an ihren Ältesten und fixierte ihn mit stechendem Blick.

»Das trifft sich gut. Ich werde nämlich gleich einen Beitrag zu einem weiteren ernsthaften Gespräch leisten. Die Familie Bartholdi wird erpresst. Das heißt: Ihr zwei werdet erpresst. Ich habe nie zu dieser Familie gehört.« Charles genoss die Überraschung im Gesicht seiner Mutter und den unterdrückten Zorn in Frédérics Mimik. »Erinnerst du dich an den blonden Engel auf dem Friedhof an Vaters Beerdigung? Das war Vaters Geliebte.« Charles machte eine Pause, um erneut die Reaktion seiner Mutter zu beobachten. »Ihr zuliebe hat er alles verloren. Und ihr zuliebe hat er auf der Präfektur große Summen unterschlagen. Über Jahre. Aber der blonde Engel ist kein Engel und wird deshalb nächste Woche zur Gendarmerie gehen und Vaters schwarzes Büchlein, in dem er alles akribisch festgehalten hat, übergeben. Vater war in buchhalterischen Dingen sehr genau. Und dann werdet ihr eine Nachforderung erhalten, die den Ruf der Bartholdis in Colmar für immer ruinieren wird. Mir ist das egal. Ich hatte noch nie einen Ruf – ich kann keinen verlieren.«

Charlotte war blass geworden, schien einen Moment zu schwanken. Sie schwieg lange, tief versunken in Erinnerungen. »Was will sie?«, fragte sie, als sie sich wieder gefangen hatte, »und wie können wir mit ihr in Kontakt treten?« Fieberhaft glitt ihr Blick den Wänden entlang, als stünde auf einem der Regale die Lösung dafür, wie sie dieser Schmach entgehen könnte.

»Zehntausend Francs will sie. Und ich werde das für die Familie regeln.



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