Gewalt: Die dunkle Seite der Antike (B00E7PVOD6) by Martin Zimmermann

Gewalt: Die dunkle Seite der Antike (B00E7PVOD6) by Martin Zimmermann

Autor:Martin Zimmermann [Zimmermann, Martin]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Deutsche Verlags-Anstalt
veröffentlicht: 2013-09-30T04:00:00+00:00


Hellenistische Opferrollen und frühe Märtyrer

Von diesen rhetorischen Bildern einer Schreckensherrschaft, die alle negativen menschlichen Eigenschaften in sich vereint, war es ein kleiner Schritt, um unter den Opfern der Tyrannen Märtyrer zu erkennen. Ich habe bereits erwähnt, dass die Folterinstrumente, wie der Grill des Agathokles oder die Jungfrau des Nabis, eine lange Rezeptionsgeschichte in den christlichen Märtyrerlegenden und damit in der europäischen Kunstgeschichte hatten. Die griechische Literatur des Hellenismus zeigte sich freilich ebenfalls sehr kreativ in der Ausgestaltung von Foltertoden, die bedeutende Männer unter Tyrannen zu erleiden hatten. Diese meist philosophischen Märtyrer lebten in der antiken Literatur bis weit in die christliche Spätantike fort und existierten parallel zu den christlichen Märtyrern. Wie diese bezeugten schon die antiken Helden durch ihre Haltung, wie Diodor es im 1. Jahrhundert v. Chr. mit Blick auf den Tyrannenmörder Aristogeiton treffend zusammenfasste, »unbeugsame, unter Folterqualen bewiesene Seelenstärke und standhaften Sinn beim Ertragen schrecklicher Schmerzen« (Diod. 10, 17).

Das schlichteste Muster solcher Legendenbildung ist die Erzählung, der Philosoph Theodoros habe, als der König Lysimachos ihn zum Tod am Kreuz verurteilte, dies ohne Schrecken schlicht zur Kenntnis genommen und die Bedeutungslosigkeit seines Todes unterstrichen (Sen. de tranq. 14, 3). Ähnlich habe sich Antiphon, ein attischer Dichter, am Hofe Dionysios’ I. verhalten. Andere Geschichten schildern das mit Hinrichtungen verbundene Grauen detaillierter. Eine kleine Auswahl genügt hier, um verstehen zu können, wie diese Gewaltbilder funktionieren.

Einen guten Einstieg bieten die Legenden, die um einen gewissen Zenon aus Elea entstanden sind. Der Philosoph habe versucht, den Tyrannen Nearchos zu stürzen, und sei dabei entdeckt worden. Die antiken Autoren malten sich das Ende dieses Mannes mit erheblicher Fantasie möglichst schrecklich aus, um seinen Gleichmut umso strahlender leuchten lassen zu können. In der einen Version habe er dem Tyrannen unter dem Vorwand, ihm etwas zuflüstern zu wollen, was nur für ihn bestimmt sei, in das Ohr gebissen und nicht losgelassen, bis er niedergestochen wurde, wobei der Tyrann sein Ohr verlor. Ein anderer Autor behauptet, er habe dem Tyrannen die Nase abgebissen. In einer weiteren Geschichte ist davon die Rede, er habe sich die Zunge abgebissen und sie dem Tyrannen ins Gesicht gespuckt. Laut einer vierten Version sei er nicht niedergestochen worden, sondern in einem Trog zerstoßen worden (Val. Max. 3, 3. Ext. 3; Diog. Laert. 9, 26 ff.). Wie die Umstände des Todes, so wechseln auch die Namen der Tyrannen. Einmal heißt er Nearchos, dann Diomedes oder Demylos.

Wir können an den konkurrierenden Versionen aber deutlich erkennen, dass die Einzelheiten der Gewaltexzesse austauschbar waren und man offenbar auch hier wie bei allen antiken Gewaltgeschichten ein gewisses Repertoire an Mustern zur Verfügung hatte, aus dem man auswählen konnte; wobei diese Muster fantasievoll mit zusätzlichen Details angereichert werden konnten. Dies lässt sich beispielsweise an sehr ähnlichen Legenden verfolgen, die zum Tod des Philosophen Anaxarchos entstanden sind. Er wurde auf Zypern von dem Tyrannen Nikokreon zu Tode gefoltert, wobei er sich, als der Tyrann ihm die Zunge herausschneiden wollte, diese selbst abgebissen und sie dem Tyrannen – eine schöne bildliche Erweiterung der Episode um Zenon – in den vor Wut weit aufgerissenen Mund gespuckt habe (Val.



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