German Angst by Friedrich Ani

German Angst by Friedrich Ani

Autor:Friedrich Ani [Ani, Friedrich]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2011-12-24T05:00:00+00:00


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FUROR MON AMOUR

Il pleure dans mon cœur Comme il pleut sur la ville.

Paul Verlaine: »Ariettes oubliées«

1

16. August, 09.12 Uhr

Als wäre die Stadt plötzlich erwacht, als würde die Trägheit ihrer Bewohner, ihr Dahingleiten in wohliger Erhabenheit innerhalb weniger Stunden umschlagen in babylonisches Grauen. Als wäre ein Engel herabgestiegen auf die klassizistischen Plätze und Boulevards, auf die Dächer der barocken Kirchen, Jugendstilhäuser und modernen Glas-Metall-und-Beton-Riesen und würde vom Monopteros-Tempel oder von der Spitze des Olympiaturms aus seine Stimme erschallen lassen, so dass jeder Gast in den schicken Cafés und den rustikalen Wirtshäusern zwischen Schwabing und Harlaching, Nymphenburg und Haidhausen panisch auf die Straße rannte, sich bekreuzigte und auf die Knie warf. Als würde wie bei der Beisetzung des Märchenkönigs vor langer Zeit plötzlich ein Blitz zur Erde fahren, gefolgt von einem Furcht erregenden Donner, und die Trauernden von den Beinen reißen: So geschockt, überdreht und wie von einer fremden Wut getrieben reagierten die Menschen auf die ersten Zeitungsartikel und Fernsehsendungen über die Entführung von Natalia Horn. Und als hätten sie literweise Zornwein getrunken, beschimpften sie einander und sich selbst und dann, nachdem sie heiser und selbstbewusst geworden waren, die Polizei, den Staat und die Jugend. Und es dauerte nicht einmal bis zum Abend dieses rasenden Montags, da stand für sie alle fest, wer schuld war an der Beschmutzung ihres Rufs, und sie forderten sofortige Bestrafung.

Als der SPD-Oberbürgermeister Ludwig Zehntner in einer Pressekonferenz sagte, er werde dem Druck reaktionärer Gewalttäter niemals nachgeben, lachten ihn die meisten Journalisten aus. Eine halbe Stunde vorher hatte Eberhard Fichtl, der Vorsitzende der CSU-Fraktion im Stadtrat, vor Reportern und Passanten erklärt, man könne nicht die Welt umarmen und dabei seine eigenen Leute vergessen, mit dem Gutmenschentum müsse jetzt Schluss sein. Die Entführung sei absolut abzulehnen, die Forderung der Kidnapper jedoch nicht von der Hand zu weisen. Viele Zuhörer applaudierten und Fichtl versprach, gemeinsam mit Zehntner eine Lösung zu finden, um so rasch wie möglich wieder Ruhe und Ordnung in der Stadt herzustellen. »München«, sagte Fichtl, »ist eine weltoffene, liberale Stadt und das soll auch so bleiben. Verbrecher kriegen von uns kein Bleiberecht, egal, wie alt sie sind und welche Hautfarbe sie haben. Wir distanzieren uns aber aufs Schärfste von dieser Aktion D, die außerhalb jeder Legalität steht, und wir verurteilen ihr Handeln. Menschenraub ist kein Mittel, um ein politisches Ziel zu erreichen. Wir lassen uns nicht erpressen. Ich hoffe sehr, dass Frau Horn unversehrt ist und es uns gelingt, die Entführer zur Aufgabe ihres absurden Vorhabens zu bewegen. Erst wenn Frau Horn wieder frei ist, werden wir uns über das weitere Schicksal von Lucy Arano und ihrem Vater Gedanken machen. Ich denke, wir werden eine schnelle Lösung finden. Im Moment aber geht es uns ausschließlich um das Wohlergehen von Frau Horn, ihr gilt unser ganzes Mitgefühl.«

Im Besprechungsraum des Dezernats 11, wo die Kommissare die Berichterstattung im Fernsehen verfolgten, drehte sich Tabor Süden zur Seite und übergab sich in den Papierkorb, der neben ihm stand und mit einer Plastiktüte ausgeschlagen war. Anschließend spülte er den Inhalt samt Tüte in der Toilette hinunter und erbrach sich ein zweites Mal.



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