Gegen das Sommerlicht by Melissa Marr

Gegen das Sommerlicht by Melissa Marr

Autor:Melissa Marr [Marr, Melissa]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Carlsen Verlag
veröffentlicht: 2010-12-17T23:00:00+00:00


Siebzehn

»Wenn sie einen einmal mit sich nehmen und man isst

von ihren Speisen … kann man nicht mehr zurück.

Man ist verändert … und lebt für immer bei ihnen.«

W. Y. Evans-Wentz: Der Elfenglaube in keltischen Ländern (1911)

Eine halbe Stunde später ging Ashlyn die Sixth Street hinunter, und mit jedem Schritt wuchs ihre Angst. Der Gedanke an die Elfe, die bis in Seths Wohnung vorgedrungen war, machte es auch nicht besser. Was, wenn ich nicht da gewesen wäre? Ob sie ihm etwas antun würden? Sie hatte ihn nur ungern allein gelassen und wollte Keenan nicht treffen; am liebsten hätte sie mit dieser ganzen Katastrophe überhaupt nichts zu tun gehabt, aber sie musste herausfinden, was los war, brauchte Antworten. Und zwar von Keenan.

Er stand draußen vor dem Eingang und sah so normal aus, dass sie fast vergaß, dass er einer von ihnen war – und nicht nur ein Hofelf, sondern ein König. Er streckte die Arme aus, als wollte er sie umarmen. »Ashlyn!«

Sie wich ihm geschickt aus.

»Ich bin ja so froh, dass du gekommen bist.« Keenan schien das absolut ernst zu meinen.

Ashlyn zuckte ratlos die Achseln. Was sollte sie darauf erwidern?

»Wollen wir?« Er bot ihr seinen Arm an, als wären sie auf einem Ball.

»Ja, klar.« Sie ignorierte den Arm – ebenso wie seinen irritierten Blick – und folgte ihm in das Labyrinth von Schaubuden, die anscheinend über Nacht aus dem Boden geschossen waren.

Überall schoben sich Leute durch die Gassen, es herrschte ein unglaubliches Gedränge. Wo man hinschaute, waren Familien und Paare in Spiele vertieft. Viele von ihnen tranken süß riechende Getränke – eine Art goldenen, dickflüssigen Nektar.

»Du bist so …«, er starrte sie an und schenkte ihr sein überirdisches Lächeln. »Ich fühle mich so geehrt, dass du mitgekommen bist.«

Ashlyn nickte, als wäre ganz normal, was er sagte. War es aber nicht. Das ist doch lächerlich. Sie fühlte sich zunehmend unbehaglich mit seinen übertriebenen Schmeicheleien.

Neben ihr versuchte eine Gruppe von Mädchen, winzige Plastikbälle auf Glastabletts zu werfen. Hoch über den Köpfen der Menge funkelten die Lichter des Riesenrades. Die Leute lachten und drängten sich eng aneinander, während sie vorbeigingen.

Dann nahm Keenan ihre Hand, und plötzlich wurde ihre Sehergabe so stark, dass ihr der Atem stockte.

Überall, wo sie hinschaute, verblassten die Menschenzauber. Die Betreiber der Schaubuden, Imbissstände und Karussells … Sie sind alle Elfen. Sämtliche Schausteller und auch viele der Besucher waren Elfen. Oh, mein Gott. Noch nie hatte sie so viele von ihnen auf einmal gesehen.

Egal, wo sie hinschaute, überall lächelten sie als Menschen getarnte Elfen wohlwollend und fröhlich an. Wieso tragen so viele von ihnen menschliche Gesichter?

Auch einige richtige Menschen liefen herum, spielten manipulierte Spiele und fuhren auf klapprigen Karussells, aber die schauten die Elfen nicht an. Alle Augen waren nur auf sie gerichtet.

Keenan winkte einer Gruppe von Elfen zu, die ihm etwas zugerufen hatten. »Alte Freunde von mir. Möchtest du sie kennenlernen?«

»Nein.« Sie nagte an ihrer Unterlippe und sah sich erneut beklommen um.

Er runzelte die Stirn.

»Zumindest im Augenblick nicht.« Sie zwang sich zu lächeln und hoffte, dass er ihre Nervosität einfach für Schüchternheit halten würde.



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