Gebrauchsanweisung für Rom by Schönau Birgit
Autor:Schönau, Birgit [Schönau, Birgit]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Reise
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2015-12-19T16:00:00+00:00
Campo de’ Fiori
Verdauung, dreitausendjährig
Kommen wir zum Wesentlichen. Rom hat, wie der Dichter sagt, jede Menge alte Bausubstanz, aber diese Steine liegen seiner Bevölkerung nicht allzu schwer im Magen. Römer können zu allen Tages- und Nachtzeiten Unmengen verdrücken und anschließend beeindruckend ausführlich, wortreich und angeregt darüber schwadronieren. Die Geschichte Roms, der Welthauptstadt des Essens, ist eigentlich nichts weiter als eine einzige große Verdauung, dreitausendjährig, nur gelegentlich unterbrochen von einem lästigen, kriegerischen Rülpser. Hier hat es wohl Hungersnöte gegeben (nach dem Zweiten Weltkrieg gab es auf manchem Schwarzmarkt römische Straßenkatzen zu kaufen), aber niemals kulturbedingte Formen der Anorexie. Mögen andere sich mit low carb bestrafen und zur Erhaltung eines Waschbrettbauches auf Götterspeisen wie Nudeln, Brot, ja sogar ein unschuldiges Äpfelchen verzichten, als sei jede dadurch bescherte Rundung des Teufels. Römer wissen es besser. Esst, Kinder, magnate ragazzi, später erst und im Himmelreich gibt es womöglich nichts mehr, man weiß ja nie, und dann hat man auf Erden seine Zeit verschwendet und umsonst gehungert. Und bevor ich es vergesse, das Wichtigste zuerst: Ein Salat ist eine Beilage ist eine Beilage ist eine Beilage. Un contorno. Wozu hat der Herrgott das zarte Lämmchen geschaffen, das geduldige Rind, das würzige Kaninchen, ganz zu schweigen von der pastasciutta? Als Orazio starb, ein Wirtsunikum aus Trastevere, zitierte der Messaggero seinen Lieblingsspruch: »Wenn du bloß einen Teller Gemüse essen willst, mach’s zu Hause«, pflegte Orazio Kunden anzupflaumen, die unter Missachtung seiner Kochkunst »nur eine Portion cicoria« bestellen wollten. Ach, cicoria. Wegwarte wäre der passende deutsche Ausdruck. Wild wächst sie in den Wiesen der campagna romana, hinter den antiken Grabsteinen längs der Via Appia Antica, und ihre dunkelgrünen Blätter bilden das römische Gemüse par excellence. Man isst sie gekocht mit Öl und Zitrone oder scharf in der Pfanne gewendet mit aglio e peperoncino, Mamma mia! Ein Gedicht mit jenem bitteren Unterton, den es braucht, um sich über die Banalität zu erheben. Cicoria ist so alt wie der Römer selbst und so charaktervoll, wie er es gerne sein möchte.
Auf dem Campo de’ Fiori findet man sie noch, Wegwarte mit ihren Wurzeln, malerisch aufgetürmt auf den alten Marktkarren im Schatten des Denkmals für den Ketzer Giordano Bruno. Sicher, in anderen Vierteln gibt es weitaus größere Märkte mit üppigeren Gemüseständen und einer Fülle von Fischbänken, während der berühmte, viel besungene Innenstadtmarkt immer weiter zusammenschrumpft. Und die römische Küche gibt es ursprünglicher im ehemaligen Ghetto, in Testaccio und in jenen namenlosen Trattorien des Tiburtino oder des Appio Latino, die niemals Besuch von einem Gourmetkritiker bekommen, sondern immer nur von der eigenen, überaus anspruchsvollen Nachbarschaft. Und dennoch hat der Campo de’ Fiori über seinen Mythos hinaus durchaus noch Handfestes zu bieten, wie den forno an der Ecke Via dei Cappellari, in dem immer ein unübersehbares Gewimmel herrscht, weil hier die pizza bianca so gebacken wird, wie das nur noch wenige in der Innenstadt hinkriegen: dünn und kross, mit einem glänzenden Ölfilm, der an den Fingern hängen bleibt, und mit groben Meersalzkörnern obendrauf. Beim Fleischer gegenüber kann man zuschauen, wie römische Metzger ihr Handwerk betreiben,
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