Frisch verliebt ist halb gelogen by Christian Bieniek

Frisch verliebt ist halb gelogen by Christian Bieniek

Autor:Christian Bieniek [Bieniek, Christian]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Jugendroman
Herausgeber: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
veröffentlicht: 2014-04-02T22:00:00+00:00


Das

Schönste an ihrem Beruf waren die Sommerferien. Ganze sechs Wochen ohne diese Pickelgesichter, ohne dummes Gekicher, ohne neunmalkluge Fragen, ohne zehnmalkluge Antworten, ohne billiges Make-up und abgekaute Fingernägel und lautes Gähnen und blöde Sprüche und das ganze Liebeskuddelmuddel, bei dem sogar – oder gerade – die Beteiligten selbst nicht mehr richtig durchblickten.

Sie trank einen Schluck Tee. Dabei schweifte ihr Blick über die Bücherwand. Sie war unschlüssig, welchen Band sie aus dem Regal nehmen sollte. Eigentlich war sie viel zu müde zum Lesen. Darum griff sie nach der Fernbedienung, zappte wahllos herum und blieb dann bei einem deutschen Film hängen, dessen Mangel an Qualität sie faszinierte.

Schwer zu sagen, was mieser war, die Schauspieler, die Dialoge oder die Ausstattung. Lächelnd musste sie daran denken, dass sie auch mal Schauspielerin werden wollte, damals, vor Ewigkeiten, als sie selbst noch zu dieser Horde ungestümer Fohlen gehörte, die sie nun Tag für Tag im Klassenzimmer zu bändigen versuchte.

Schauspielerin … In einer billigen Dekoration vor der Kamera stehen und peinliche Texte aufsagen. Oder auf irgendeiner Provinzbühne vor zweihundert Leuten mit einer witzlosen Komödie auftreten. Auf Rollenangebote warten. Zwischendurch als Kellnerin jobben. Oder in einem Baumarkt Regale auffüllen. Werbespots für Magerquark drehen. Drittklassige Actionfilme synchronisieren.

Hätte sie diesen Traum nicht früh genug beerdigt, dann hätte er ihr Leben in einen Albtraum verwandelt. Deutschlehrerin war ein schöner Job. War mehr als ein Job. Sie blieb mit Büchern zusammen. Und ein wenig mit sich selbst. Mit dem Teil von sich selbst, den sie am spannendsten fand. Mit sich selbst als Mädchen.

Das Telefon klingelte.

»Guten Abend, Frau Schumann. Hier ist Jana.«

»Jana? Bist du nicht gerade irgendwo in den Bergen?«

»Ja, in der Schweiz. Grindelwald. Sehr schön hier.«

»Wirklich?«

»Jedenfalls sagen das alle hier von früh bis spät.«

»Und was sagst du?«

»Sehr schön hier. Aber nicht wegen den Bergen.«

»Sondern?«

Jana lachte verlegen. »Wer ist Brancusi?«

»Wieso?«

»Kennen Sie Brancusi?«

»Wie heißt er?«

»Jonas. Aus München. Ist ganz anders als die anderen Jungs. Aber das behaupte ich ja von jedem Typen, nachdem ich mehr als zehn Sätze mit ihm gewechselt habe.«

Wieder lachte Jana, aber diesmal ganz anders. Frau Schumann sah ihr selbstironisches Grinsen vor sich. Jana war was Besonderes. Fand zumindest Jana selbst. Und Frau Schumann fand das manchmal auch, vor allem wenn sie die Geschichten las, die Jana schrieb. Das Erstaunlichste an den Geschichten war, dass Frau Schumann die Einzige war, die sie lesen durfte. Ansonsten waren sie nicht sonderlich beeindruckend. Jana schrieb einfach alles auf, was in ihrer Fantasie herumspukte. Ab und zu gelang ihr ein Satz, der Frau Schumann verblüffte. Und ganz selten entdeckte sie einen Satz, der sie ganz enorm verblüffte. Davon sagte sie Jana aber kein Wort. Die wollte sowieso nicht über ihre Geschichten reden. Es genügte ihr, zu wissen, dass alles, was sie schrieb, zumindest von einem Menschen gelesen wurde. Dass sie ausgerechnet ihre Deutschlehrerin dafür ausgesucht hatte, empfand Frau Schumann zunehmend als eine Last, was sie sich jedoch Jana gegenüber niemals würde anmerken lassen.

»Brancusi war ein Bildhauer«, erklärte sie, worauf Jana sie ungeduldig unterbrach: »Das hab ich mir auch schon gedacht. Aber wissen Sie sonst nichts über ihn?«

»Nein, tut mir leid.



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