Frag den Staub by Fante John

Frag den Staub by Fante John

Autor:Fante, John [Fante, John]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau Digital
veröffentlicht: 2017-01-14T23:00:00+00:00


Kapitel 12

Auf dem Briefkasten stand Vera Rivken. Es war unten am Long Beach Pike, gegenüber vom Riesenrad und der Achterbahn. Im Erdgeschoss eine Billardhalle, oben ein paar Einzimmerwohnungen. Die Treppe unverkennbar: Sie roch nach Vera. Das Geländer war verbogen und verzogen, und die graue Farbe an der Wand warf Blasen, die aufbrachen, wenn ich mit dem Daumen draufdrückte.

Ich klopfte, und sie öffnete die Tür.

»Jetzt schon?«, sagte sie.

Nimm sie in die Arme, Bandini. Verzieh nicht das Gesicht, wenn sie dich küsst, mach dich sanft los, mit einem Lächeln, sag irgendwas. »Du siehst wunderbar aus«, sagte ich. Keine Chance zu reden, schon war sie wieder über mir, klebte an mir wie eine feuchte Kletterpflanze, und ihre Zunge versuchte in meinen Mund zu schlüpfen wie eine verängstigte Schlange. Oh großer italienischer Liebhaber Bandini, revanchier dich! Oh jüdisches Mädchen, bitte sehr, könntest du die Sache etwas langsamer angehen? Ich befreite mich, ging hinüber ans Fenster und sagte etwas übers Meer und die Aussicht.

»Hübsche Aussicht«, sagte ich. Sie nahm mir den Mantel ab, führte mich zu einem Stuhl in der Ecke und zog mir die Schuhe aus. »Mach’s dir bequem«, sagte sie. Dann war sie weg, und ich saß da mit verkrampftem Kiefer und betrachtete ein Zimmer, wie es in Kalifornien zehn Millionen gibt. Die Möblierung bestand aus einem bisschen Holz hier und einem Fetzen Stoff da, an der Decke hingen Spinnweben, in den Ecken lag Staub – das war ihr Zimmer und jedermanns Zimmer, Los Angeles, Long Beach, San Diego, nichts als ein paar Bretter mit Mörtel und Stuck, um die Sonne abzuhalten.

In einem kleinen weißen Loch, das sie ihre Küche nannte, klapperte sie mit Pfannen und klirrte mit Gläsern, und ich saß da und überlegte, wieso sie mir jetzt so ganz anders vorkam als zu Hause, wenn ich allein in meinem Zimmer war. Ich hielt nach Weihrauch Ausschau, denn dieser Saccharingeruch musste doch von irgendwoher kommen; aber da war keine Räuchervase im Zimmer, nur zu viele schmutzig blaue Möbel, ein Tisch, auf dem ein paar Bücher lagen, und ein Spiegel über der Täfelung eines Schrankbetts. Dann kam sie aus der Küche mit einem Glas Milch in der Hand. »Hier«, sagte sie. «Ein kühler Drink.«

Aber der Drink war überhaupt nicht kühl, eher heiß, und obendrauf war gelblicher Schaum. Ich nippte daran; er schmeckte nach ihren Lippen und nach den starken Sachen, die sie ass, nach Roggenbrot und Camembert.

»Das ist gut«, sagte ich. »Köstlich.«

Sie saß mir zu Füßen mit den Händen auf den Knien und starrte mich aus hungrigen Augen an, aus gewaltig großen Augen, in denen ich mich hätte verlieren können. Sie trug die gleichen Kleider wie bei unserer ersten Begegnung; ihrer trostlosen Wohnung nach zu urteilen, besaß sie keine andern. Da ich unangemeldet aufgetaucht war, hatte sie sich auch nicht schminken können, und so schimmerten unter ihren Augen und durch die Wangen die Konturen einer Greisin hervor. Ich wunderte mich, dass mir das beim ersten Mal entgangen war, und dann fiel mir ein, dass es mir keineswegs entgangen war, ich hatte es sogar



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