Flugschreiber by Frank-Walter Steinmeier

Flugschreiber by Frank-Walter Steinmeier

Autor:Frank-Walter Steinmeier
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
veröffentlicht: 2016-01-01T00:00:00+00:00


FÜRCHTET EUCH NICHT

Pförtner in Moldawien –

Ente in Südfrankreich –

Schicksalsmoment in Paris –

Per Anhalter in Brüssel –

Barfuß in Warschau

Wenn ich auf meinen Reisen Menschen auf der ganzen Welt begegne, dann geht es nicht nur um ihre Heimatländer, um die Hoffnungen und Sorgen vor Ort, sondern dann sprechen wir auch über die Gegend, aus der ich komme und die ich repräsentiere. Oftmals sehen die Leute in mir gar nicht in erster Linie den deutschen Außenminister, sondern einen Vertreter Europas. Das ist bemerkenswert, gerade in Zeiten, in denen sich bei uns die Europaskepsis breitmacht, in denen Nationalisten Rückenwind haben und sich Großbritannien für den Austritt aus der Europäischen Union entschieden hat. Von außen also sieht Europa ganz anders aus als von innen! Das erlebe ich auf meinen Reisen immer wieder. In Tunis, bei einer Diskussion mit Studierenden der El-Manar-Universität, spricht eine junge Frau von ihrem Traum, sich eines Tages nach »Baladeuroba« aufzumachen. Balad bedeutet auf Arabisch: Land. Sie hat also vom Europaland gesprochen. In Chişinău, der Hauptstadt von Moldawien, als ich mit meiner Delegation das dortige Außenministerium betrete, sehe ich im Augenwinkel den Pförtner im Torhäuschen sitzen, und traue meinen Augen nicht: Er trägt eine Krawatte in den Europafarben, goldene Sterne auf blauem Grund. Wer in Berlin oder Warschau oder Paris trägt bei der Arbeit eigentlich einen EU-Schlips?

Den Blick auf unser Europa durch die Augen der Welt empfinde ich als unheimlich bereichernd, er ist fast wie ein Korrektiv. Denn bei allen Problemen innerhalb der Europäischen Union bleibt Europa für viele Menschen auf der Welt ein Sehnsuchtsort. Sie sehen in Europa ein Friedensprojekt, einen Ort von Wohlstand und Demokratie. Sie sehen in Europa ein Gesellschaftsmodell, das die Freiheit des Einzelnen und den Zusammenhalt der vielen ins Gleichgewicht bringt.

Es sind diese Geschichten, die wir uns viel zu selten erzählen. Geschichten von Freiheit und Sehnsüchten. Aber jeder von uns hat sie! Als ich 17 war, und der Erste aus meiner Clique den Führerschein hatte, sind wir mit einer Ente nach Südfrankreich gefahren. Für mich war es die erste Reise ins Ausland, das erste Mal mit Freunden unterwegs, ohne Eltern. Das erste Mal Grenzen passieren, mich in einer anderen Sprache und Kultur zurechtfinden. Wir hatten 400 Mark für vier Wochen, das hieß vier Wochen lang Baguette und Käse, für Rotwein reichte es gerade noch. Diese Reise stand am Anfang meiner Beziehung zu Europa. Frankreich, das kann ich so sagen, war meine erste Liebe.

Die Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich ist und bleibt einzigartig. Zugleich ist sie beispielhaft für das heutige Europa. Genauso wenig, wie ich mir vor vierzig Jahren, als ich mit der Ente durch Frankreich tourte, hätte vorstellen können, einmal deutscher Außenminister zu sein, hätte sich damals jemand vorstellen können, wie eng und selbstverständlich die deutsch-französische Zusammenarbeit einmal sein würde. Sie ist heute europäische Routine. Regelmäßig gehe ich gemeinsam mit dem französischen Außenminister auf Reisen. Wir waren zusammen weit weg, in Bangladesch, Mali und Nigeria, aber wir waren auch gemeinsam in der Heimat des jeweils anderen. Mit Jean-Marc Ayrault bin ich durch die mittelalterliche Altstadt von Brandenburg an der Havel spaziert, wo ich meinen Wahlkreis habe.



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