Federgewicht by Dagmar Leupold

Federgewicht by Dagmar Leupold

Autor:Dagmar Leupold [Leupold, Dagmar]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783105602379
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2015-06-05T00:00:00+00:00


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Ein Seufzen von Bert hatte Dorothea geweckt. Es war noch nicht einmal sechs Uhr. Sie schlich an sein Bett: Er lag auf der Bettdecke, der zerkaute Zipfel war seinen Lippen entglitten, den rechten Arm hatte er besitzergreifend um einen alten Teddybären Dorotheas geschlungen. Im Profil war die Ähnlichkeit mit Hannes noch auffälliger: die schöne, gerade Nase, die langen Augenbrauen und das leicht fliehende Kinn. Nur die Haarfarbe hatte er von seiner Mutter, zwischen Kupfer und Braun, je nach Jahreszeit. »Wenn du einen Monat am Meer wärst, du hättest Haare wie sonnenbeschienene Terrakotta«, hatte Hannes ganz zu Anfang ihrer Liebesbeziehung gesagt und war dabei bewundernd mit ausgestreckten Fingern durch ihr dichtes Haar gefahren. Sie hatte ihm nie verraten, daß sie nicht wußte, was Terrakotta war.

Sie kehrte in ihr Bett zurück. Ein vages Gefühl von Trauer, Kälte. Sie zog die Decke bis an den Hals und drückte das Gesicht in die weichen Kissen. Mit beiden Händen umschloß sie ihre Brüste, genoß ihre Schwere und schlief getröstet wieder ein.

Lydia Pracht stand jeden Morgen um halb sieben auf. Überhaupt hatte sie die Kraftsdorfer Werktagsroutine wenig modifiziert: Frühstückstisch bereits am Abend decken, Kaffeefilter füllen, Kleider bereitlegen. Der einzige Unterschied bestand darin, daß sie nicht mehr zur Arbeit aufbrach; sowohl sie selbst als auch ihr Mann waren in den vorzeitigen Ruhestand geschickt worden. Dorotheas Vater fand sich im Gegensatz zu ihrer Mutter schlecht damit ab, er verbrachte seine Tage mit nötigen und unnötigen Reparaturen am eigenen Haus; manchmal flickte er auch Fahrradreifen und ersetzte alte Sättel von Rädern, die ihm mittlerweile aus ganz Kraftsdorf zugetragen wurden. Seine Frau ärgerte die »Rumpelkammer« im Hof; sie duldete sie aber kommentarlos, weil sie sich vor völliger Untätigkeit ihres Mannes fürchtete.

Auch jetzt, bei Dorothea, blieb sie ihren Gewohnheiten treu. Da Ajot und ihre Tochter nie vor acht Uhr frühstückten, vertrieb sie sich die Zeit mit Briefeschreiben und Kartenlegen. Durch das Wohnzimmerfenster sah man in den gegenüberliegenden Wohnungen vereinzelt Lichter angehen. Verschlafene Menschen machten sich daran, Kaffee zu brühen und ihren schlechten Atem damit hinunterzuspülen, ihre Kinder unsanft zu kämmen und mit einem Klaps in die Schule zu entlassen. In einer Stunde würden sie parfümiert, geschminkt oder rasiert ihre privaten Unzulänglichkeiten unter den noch warmen Bettüchern zurückgelassen haben und ihre öffentlichen Gesichter selbstbewußt darbieten. Etwas Neid auf diese tägliche Konfrontation mit einem Publikum verspürte Lydia Pracht doch, und sie beschloß, später zum Einkaufen in die Stadt zu fahren. Ende der Woche würde sie abreisen und das gewiß nicht mit leeren Händen.

Eine lustlose Sonne schien jetzt hinter trägen Wolken hervor, Dorotheas Mutter beeilte sich, die Lampe über dem Tisch auszuschalten. Sie deckte den Frühstückstisch fertig und säuberte Berts Hochstuhl mit einem intensiv nach Zitrone duftenden Reiniger.

»Das ist doch viel zu scharf!« Dorothea stand mit Bert im Arm hinter ihr, mit einer entschiedenen Bewegung nahm sie ihrer Mutter die Plastikflasche aus der Hand. »Früher …«, begann diese sich zu rechtfertigen, aber Dorothea unterbrach sie mit harter Stimme: »Früher wurden auch Fehler gemacht, das ist weder ein westliches noch ein heutiges Privileg.«

Frau Pracht warf



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