Es ist für uns eine Zeit angekommen by Lise Gast

Es ist für uns eine Zeit angekommen by Lise Gast

Autor:Lise Gast [Gast, Lise]
Die sprache: tah
Format: epub
Herausgeber: SAGA Egmont
veröffentlicht: 2016-05-05T00:00:00+00:00


„Damit kannst du recht haben. Wir müßten eigentlich wegfahren, nicht zu Hause sein, das wäre das Beste. So machen es berühmte Leute.“ Er lachte ihr aufmunternd zu, und sie lächelte versuchsweise ein wenig zurück. „Aber wohin? Wo kann man Weihnachten ganz für sich und in der Stille feiern? Hör mal, da fällt mir etwas ein. Hast du mir nicht einmal erzählt, daß dein Vater nicht weit von hier …“

* * *

„Was singst du da eigentlich? Ist das ein Weihnachtslied? Es klingt mehr wie ein Marsch“, sagte er. Hille saß auf der Erde, hatte rings um sich Tannengrün verstreut und bastelte eifrig an einem riesigen Adventskranz, der nicht rund werden wollte. „Wie ein Osterei sieht er aus, jammerte sie einmal kläglich, und Jup mußte lachen. Er sagte, das wäre jedes Jahr so. Ihm jedenfalls sei es auch immer so gegangen.

„Wie ein Marsch? Ist auch einer. Der Sterndreher-Marsch“, sagte sie jetzt. „‚Es ist für uns eine Zeit angekommen, die bringt uns eine große Freud.‘ Das war das erste Weihnachtslied, das wir singen ‚durften‘, in oder besser vor dieser von uns allen so ersehnten und geliebten Zeit. Dabei gehört es, glaub ich, eigentlich zum Dreikönigstag. Jedenfalls sangen es immer die Jungen, die um Hohneujahr, so heißt bei uns das Erscheinungsfest, also am sechsten Januar als Heilige Dreikönige verkleidet kamen und das C plus M plus B an die Tür schrieben, mit Kreide, und die jeweilige Jahreszahl dazu. Ob das ein katholischer oder evangelischer Brauch ist – auf jeden Fall fand ich ihn immer schön und finde das heute noch. Alte Bräuche soll man pflegen. Und dazu gehört das Lied. ‚Durch den Schnee, der leise fällt, wandern wir, wandern wir …‘“

„Ich kenne es nicht von früher. Aber es gefällt mir“, sagte Jup leise.

„Es stammt, soviel ich weiß, aus der Schweiz. Im dritten Vers heißt es: ‚Es ist für uns eine Zeit angekommen, die bringt uns eine große Gnad‘. Unser Heiland Jesus Christ, der für uns – der für uns – Mensch geworden ist –‘“ sie sang es mit einer leisen Stimme. „Ja, ich liebe es sehr. Es ist wie der Vorhang, der aufgetan wird, damit wir hineingehen können in die seligste Zeit.“

„Ich muß es auch lernen“, sagte er, „ja, es gibt schöne Lieder. Man kann nicht genug kennen.“

„Aber der Kranz, Jup! Er wird und wird nicht rund“, seufzte sie in lustiger Verzweiflung. Er lachte.

„Plag dich nur. Bisher mußte ich mich immer quälen“, sagte er, „jetzt hab ich es gut. Deshalb hab ich dich ja nur geheiratet.“

„Aha, also deshalb.“ Sie sah zu ihm empor.

Er erwiderte ihren Blick.

„Hille“, sagte er dann, und es klang so ernst, daß sie aufhorchte, „dir kann ich es ja sagen. Für mich war Weihnachten immer sehr schwer, seit – seit ich meine Frau verlor. Ich hab es der Kinder wegen durchgestanden, daß wir feierten wie vorher. Ich fand, darauf hatten sie ein Recht. Diesmal …

Diesmal, finde ich, sollte es anders werden. Ein neues Fest, ein neues Leben. Ein Leben mit dir. Mein Vorschlag: Wir feiern nicht hier, auch wenn du einen noch so schönen Adventskranz gewunden hast.



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