Endlich mein by Leon Donna

Endlich mein by Leon Donna

Autor:Leon, Donna [Leon, Donna]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Kriminalliteratur
ISBN: 9783257606959
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 2015-11-25T05:00:00+00:00


[162] 17

Flavia legte die Ellbogen auf den Tisch und das Kinn in die Hände. Brunetti hörte sie etwas murmeln, verstand aber kein Wort. Er wartete. Sie schüttelte mehrmals den Kopf, dann richtete sie sich auf. »Ich kann das einfach nicht glauben.« Sie schloss die Augen, biss sich auf die Unterlippe, sah ihn an und sagte mit nicht mehr so fester Stimme wie zuvor: »Ich führe mich ziemlich melodramatisch auf, oder? Natürlich kann ich das glauben: Das ist ja das Furchtbare.«

So gern er sie getröstet hätte, wollte Brunetti sie auf keinen Fall belügen. Das kurze Gespräch zwischen Flavia und Francesca, wo dem Mädchen lediglich ein Kompliment gemacht worden war, konnte durchaus mit dem Angriff auf der Brücke in Zusammenhang stehen. »È mia.« Konnten ein paar höfliche Worte eine derart brutale Behauptung absoluten Besitzwillens provozieren, und war jetzt jeder in Gefahr, an dem Flavia Interesse bekundete?

Brunetti hatte in all den Jahren seiner Polizeiarbeit insofern Glück gehabt, als er unabhängig davon, mit wie vielen schlechten und sehr schlechten Menschen er sich hatte abgeben müssen, nur selten mit Wahnsinnigen zu tun gehabt hatte. Das Verhalten der Schlechten hatte seine Logik: Sie wollten Geld oder Macht oder Rache oder die Frau eines anderen, und sie wollten das aus nachvollziehbaren Gründen. Außerdem gab es meist eine Verbindung zwischen ihnen und ihren Opfern: Rivalen, Geschäftsfreunde, Feinde, [163] Verwandte, Ehepartner. Man musste nur jemanden finden, der von Tod oder Verletzung des Opfers profitierte – und nicht nur finanziell –  , dann ein wenig Druck auf den Betreffenden ausüben oder auch ganz vorsichtig die Angelschnur einziehen, und schon hatte man den Täter. Eine Verbindung gab es immer: Die Kunst bestand darin, sie zu finden.

Hier jedoch war der Auslöser womöglich nur irgendeine beiläufige Bemerkung, ein lobendes oder aufmunterndes Wort, wie jeder großherzige Mensch es für eine junge Frau am Beginn ihrer Karriere finden würde. Und doch hatte es eine fast mörderische Wut auf das Mädchen geweckt.

»Was soll ich tun?«, fragte Flavia. Brunetti ließ von seinen Grübeleien ab und hörte ihr wieder zu. »So kann ich nicht leben«, sagte sie, »wie eine Gefangene, hier in dieser Garderobe oder in meiner Wohnung. Ich will nicht vor jedem Angst haben müssen, der auf der Straße näher kommt.«

»Und wenn ich sage, du selbst bist gar nicht in Gefahr?«, fragte Brunetti.

»Aber meine Freunde sind es, jeder, mit dem ich rede. Ist das nicht das Gleiche?«

Nur für die reinsten Christenherzen, dachte Brunetti. Im Lauf der Jahre hatte er die verschiedensten Reaktionen auf physische Bedrohung erlebt. Solange eine Gefahr nur theoretisch besteht, reagieren wir wie Helden, wie Löwen; kommt sie tatsächlich auf uns zu, werden wir zu Mäusen.

»Flavia«, sagte er, »ich glaube nicht, dass jemand dich [164] verletzen will; dieser Mann oder diese Frau will dich lieben. Und von dir geliebt oder geachtet werden.«

»Das ist doch widerlich«, fauchte sie. »Dann lieber verletzt werden. Das ist sauberer.«

»Lass das, Flavia, hör auf damit«, sagte er so scharf, dass es ihn selbst überraschte.

Sie riss Mund und Augen auf und starrte ihn an. »Wie bitte?«, stammelte sie, und er fürchtete schon, sie werde ihn fortschicken.



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