Eisrot by Mads Peder Nordbo

Eisrot by Mads Peder Nordbo

Autor:Mads Peder Nordbo [Nordbo, Mads Peder]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Thriller
Herausgeber: Fischer
veröffentlicht: 2018-10-22T22:00:00+00:00


37

Jakob blätterte in dem Buch über Fossilien. Er hatte Paneeraq eine Gutenachtgeschichte vorlesen wollen. Sie lag unter der dicken Decke in seinem Bett, er saß auf der Kante.

Die Idee, ihr etwas vorzulesen, war gut gewesen. Allerdings hatte er nicht bedacht, dass in seinem Regal nur Fachbücher und Zeitschriften standen, die nichts für ein elfjähriges Mädchen waren. Am Ende war ihm nur das Buch über Fossilien geblieben, aber er hatte schon mitten im Kapitel über den Igaliku-Sandstein erkennen müssen, dass auch das nicht geeignet war.

Er klappte das Buch wieder zu. »Das ist ganz schön langweilig, oder?«

Sie nickte und lächelte verlegen.

»Das kannst du ruhig sagen«, ermutigte er sie. »Hier darf man alles sagen, was man denkt. Und auch ich muss zugeben, dass Steine ganz schön langweilig sein können.«

Ihre Augen lächelten. Sie hatte sich die große weiße Decke bis unter die Nase gezogen.

»Warte mal«, sagte er. »Ich geh kurz ins Wohnzimmer und hole was.«

Als Jakob zurückkam, hatte er einen versteinerten Seeigel und die Schale eines Seeigels dabei. Er legte sie auf die Matratze neben ihr Kopfkissen.

»Das sind beides Seeigel«, sagte er und stupste den Stein und die Schale an. »Der eine wurde zu Stein, der andere ist wie eine leere Muschel. Dieser Seeigel wurde im Sommer wahrscheinlich von einer Möwe oder einem Raben gegessen.«

Paneeraq betrachtete die beiden Seeigel. Man konnte gut erkennen, dass es sich um dasselbe Tier handelte. Die Falte auf ihrer Stirn wurde wieder sichtbar. Sie sah Jakob erneut mit diesem eindringlichen Blick an.

»Du darfst sie ruhig anfassen«, sagte er.

Ihre kleinen Finger strichen erst über den Stein und dann über die Schale. Dann nahm sie beides in die Hand. Der Stein war massiv. Die Schale hohl und zerbrechlich.

»Wie wurde der zu Stein?«

»Der wurde vor dreißig Millionen Jahren unter Schlamm begraben und ist dann ganz langsam versteinert. Die Schale hat sich schon vor langer, langer Zeit aufgelöst. Was du da siehst, ist das Tier, das in der Schale gelebt hat.«

Sie erwiderte nichts, behielt die Versteinerung aber in ihrer Hand.

»Ist das nicht unglaublich, dass diese kleinen Geschöpfe schon seit Millionen von Jahren in den Meeren zu Hause sind? Und sie sehen noch genauso aus und machen genau dasselbe wie vor dreißig oder hundert Millionen von Jahren. Da, wo ich herkomme, kann man am Strand gleichzeitig einen lebendigen Seeigel und eine solche Versteinerung finden.«

Sie betrachtete die Versteinerung in ihrer Hand. »Kann ich auch zu so einem Stein werden?«

Jakob rieb sich das Auge. »Ja, das könntest du schon. Aber das würde viele, viele Jahre dauern. Länger, als es Menschen auf der Erde gibt. Darum würde davon niemand je erfahren.«

Sie lächelte zufrieden und nickte. Dabei öffnete und schloss sie die Hand, die den Seeigel hielt. »Der ist ganz warm.«

»Deine Hand wärmt ihn. Steine lieben Wärme. Und wenn sie ganz viel davon bekommen, werden sie flüssig.«

Sie sah ihn skeptisch an.

»Das stimmt wirklich. Auch Grönland bestand mal aus flüssigem Gestein. Das nennt man Lava, und Lava kommt aus dem Inneren der Erde.« Sie nickte, das Wort Lava kannte sie.

Sie legte den Kopf zurück aufs Kissen, ihre Hand aber hielt den Seeigel fest umklammert.



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