Einsamkeit und die psychologische Kraft der Marke by Oliver Errichiello

Einsamkeit und die psychologische Kraft der Marke by Oliver Errichiello

Autor:Oliver Errichiello
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783662578308
Herausgeber: Springer Berlin Heidelberg


Die permanente Entwertung

Der Soziologe Hartmut Rosa macht in seinen Überlegungen zur „Beschleunigung“ klar, dass ein entscheidender Imperativ des modernen Weltgefühls sei, die Zeit so intensiv wie möglich zu nutzen. Diese „Grunderfahrung der Moderne“ präge eine umfassende und sich ständig ausweitende Rast- und Ruhelosigkeit – die ständige Angst, etwas zu verpassen, sodass das „gute Leben“ an einem vorbeizieht. Gerade aus diesem Grund ist das kollektive Suchtpotenzial des Smartphones erklärbar: So ist es nichts Ungewöhnliches, wenn in einem Restaurant oder in einer Bar eine Gruppe von Menschen, obwohl man zusammen den Abend verbringt – unvermittelt und jeder für sich in sein Smartphone blickt. Obwohl wir bereits mit anderen zusammen sind, suchen wir mit dem Gerät, dass unsere Aktivitäten de facto bis in den letzten Zipfel der Welt ausbreitet, nach Alternativen, die uns noch mehr an Neuem, Aufregendem und Unbekanntem versprechen. Das Leben wird durch ein Smartphone zur emotionalen Intensivstation: „Noch in der mechanischen Wiederholung bleibt aber ein Fünkchen einer – wie wir wissen trügerischen – Hoffnung bestehen, dass uns ein weiterer Klick oder Touch aus der überwältigenden Monotonie erlösen könnte. […] Eine der Attraktionen gängiger Produkte oder Systeme ist heute ihre Betriebsgeschwindigkeit – beim Laden oder Verbinden darf es keine Wartezeit geben“ (Crary 2014, S. 75).

Die Technik ist generell ein Mittel, um uns in einem begrenzten Zeitkontingent mehr Möglichkeiten der simultanen Tätigkeit zu bieten: So können wir heutzutage Wäsche waschen, telefonieren, Fernsehen schauen und gleichzeitig noch im Internet surfen. Helfende Maschinen begleiten uns im profanen Alltag. Dennoch haben wir das diffuse Gefühl, immer weniger Zeit zu haben. Freie Zeit vergeht in der Moderne äußerst ungern „sinnlos“, sondern wird sofort wieder eingesetzt, um die Handlungsoptionen zu vergrößern (beispielsweise Kinder schaukeln und die E-Mails auf dem Smartphone checken) – Multitasking ist als Begrifflichkeit mit der zunehmenden Technisierung der Alltagswelt entstanden, beschreibt aber im Kern eine geistige Disposition: Alles muss eingesetzt werden, damit es einen „Output“ hat. Diese Form der Gleichzeitigkeit bedingt ein Denken, welches essenziell für ein kapitalistisches Warenwirtschaftssystem ist: Die technisch gesteuerte Erhöhung der Produktionsgeschwindigkeit macht nur dann Sinn (und ist betriebswirtschaftlich abbildbar), sofern gleichzeitig die Steigerung der Distributions- und vor allem Konsumgeschwindigkeit erreicht wird.

Karl Marx hat ausgeführt, dass die Moderne in Hinblick auf Warenwerte kennzeichne, dass der physische Verschleiß durch den moralischen Verschleiß ersetzt wird: Smartphones werden heutzutage in den seltensten Fällen ausgetauscht, weil sie nicht mehr funktionieren, sondern weil sie nicht mehr das neueste Modell sind – das Unternehmen Apple lebt von Produktzyklen, die nicht länger als zwei Jahre sind. Die Aufgabe der Werbung ist es, diesen moralischen Verschleiß durch die Präsentation neuer Produkte zu forcieren – idealtypisch muss ein neu gekauftes Produkt so schnell als möglich nach dem Kauf dem Käufer schon veraltet erscheinen. Die Betonung vermeintlich höchst wichtiger „Optimierungen“ rekurriert auf längst vergangene Zeiten, als Produkt-Verbesserungen tatsächlich noch einen essenziellen Nutzen hatten und nicht nur „Features“ vermittelten.

Jonathan Crary verdeutlicht die fundamentale Auswirkung auf die Psyche eingängig: „Der unerbittliche Rhythmus des Technikkonsums, wie er sich in den letzten zwei oder drei Jahrzehnten entwickelt hat, lässt keine längeren Zeiträume zu, in



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