Einsame Klasse by Chandler

Einsame Klasse by Chandler

Autor:Chandler
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2014-01-23T05:00:00+00:00


20

Nummer 222 lag auf der linken Seite, wenn man die Kenmore in Richtung Franklin hinauffuhr. Das Haus stand auf einem kleinen Rasenstück, und die Haustür war durch das tiefhängende Verandadach kaum zu sehen. Es war einer dieser angenehm kühlen Bungalows mit großen Veranden davor, die man zu jener Zeit gebaut hatte, als L. A. noch ein wildwuchernder, gemütlicher Ort mit einer Menge Sonne und ohne Smog war. Die Leute pflegten am Abend auf diesen Veranden zu sitzen, Eistee zu trinken und den Nachbarn zuzusehen, wie sie ihren Rasen mit langem Strahl aus einem Schlauch wässerten. Sie pflegten bei offener Haustür zu schlafen, und die Fliegentür wurde nur von einem einfachen Haken gehalten. Und sie pflegten Radio zu hören und manchmal an Sonntagen mit einem der städteverbindenden Züge zu einem Picknick zum Strand rauszufahren. Ich parkte an der Ecke Franklin und wanderte zurück. Der Rasen vor dem Haus war nicht mehr zu gebrauchen. Das Gras war so hoch, dass es angefangen hatte, Samenstände zu bilden. Das Haus brauchte einen Anstrich, das Fliegennetz hatte sich an mehreren Stellen aus der vorderen Fliegentür gelöst, und das Netz hatte sich gekräuselt wie die Kragenpunkte an einem alten Oberhemd. Die Haustür war verschlossen, aber der Rahmen hatte sich etwas verzogen, so dass es kein Problem war, reinzukommen. Ich legte meine Schulter gegen den Rahmen und meine Handfläche gegen die Tür, drückte gleichzeitig in beide Richtungen, und war drin.

Die Wohnung roch, wie Wohnungen oft riechen, wenn sie eine Zeitlang leer und verschlossen waren. Rechts, durch einen Torbogen abgetrennt, lag das Wohnzimmer. In ihm war eine gefederte Couch mit gehäkelter Überdecke, die umgeschlagen war, als ob jemand unter ihr gelegen habe und gerade aufgestanden sei. Gegenüber stand ein großer alter Fernseher auf Stelzen, darauf ein eckiges Apothekerglas voller kleiner, bunter Bonbons, die einzeln in Zellophan verpackt waren. Der dünne blaue Navaho-Läufer auf dem Boden war abgewetzt, und ein Kaffeetisch aus gebogenem Bambus war dicht an die Kopfseite der Couch geschoben. Es gab einige Film- Magazine und einen Groschenroman über wahre Liebe und einen Aschenbecher voller Filterzigarettenkippen.

Das Licht des späten Nachmittags, das durch die staubigen Musselinvorhänge rieselte, pickte Staubfäden aus der Luft.

Die Bullen hatten all dies auch gesehen. Und sie hatten bestimmt wie gewöhnlich alles untersucht, und alles, was eine Rolle spielte, würde beschlagnahmt in einer Kiste mit einem Etikett lagern. Trotzdem wussten sie bisher nicht alles, was ich wusste, und ich hoffte etwas zu entdecken, das für sie bedeutungslos gewesen war. Im Wohnzimmer gab es nichts. Ich ging weiter in die Küche. Es war dunkel geworden. Ich knipste eine Lampe an. Wenn die Bullen das Haus überwachten, hätten sie mich hereinkommen sehen und wären schon längst aufgetaucht. Die Nachbarn würden einfach denken, ich sei ein weiterer Bulle.

Ein halber Laib Brot und ein ungeöffnetes Paket Butter lagen auf einem Teller im Kühlschrank. Im Kühlfach war eine Flasche Wodka. Auf dem Küchentisch lagen drei oder vier langsam gelb werdende Limonen in einer Schale aus Hartglas, und in einem Regal stand ein Glas mit etwas löslichem Kaffee. Auf dem Rand des Waschbeckens entdeckte ich außerdem ein geschrumpftes Stück Seife.



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