Eingemischt! Zwischenrufe Eines Älteren Herrn by Edzard Reuter

Eingemischt! Zwischenrufe Eines Älteren Herrn by Edzard Reuter

Autor:Edzard Reuter [Reuter, Edzard]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Klöpfer & Meyer
veröffentlicht: 2015-10-25T16:00:00+00:00


Dazugehören

Wer von uns hätte im Verlauf seines Lebens nicht schon einmal darauf gehofft, jemanden persönlich kennenzulernen, mit ihr oder ihm sprechen, ja, der Traumperson womöglich ganz nahe sein zu können? In der Jugend mögen das Idole auf der Bühne, der Leinwand oder beim Fußball gewesen sein, später weibliche oder männliche Schriftsteller, Künstler oder gar Politiker. Die Sehnsucht, jemandem zu begegnen, der etwas verkörpert, was man sich für sich selbst erträumt und doch nicht erreicht hat, ist vermutlich niemandem fremd, handelt es sich doch um nichts als um eine ganz normale menschliche Eigenart.

Über die meisten solcher allgemeinmenschlichen Eigenheiten ist zur Genüge nachgedacht, sind Bibliotheken vollgeschrieben worden. Das gilt für die vielfältigen Spielarten von Sucht, wie etwa der Gier nach Geld oder Ruhm, es gilt für die Versuchungen der Heuchelei und es gilt für die Irrungen und Wirrungen der Liebe oder des Neids. Allzu oft übersehen wird hingegen ein merkwürdiges Zusammenspiel nahezu zwanghafter Erscheinungen zu einem Syndrom. Es geht um eine Art von Krankheit, die für viele unter uns, die davon befallen sind, durchaus gefährlich werden kann. Die Rede ist von dem Bedürfnis, dazuzugehören.

Bei oberflächlicher Betrachtung kann es freilich leicht geschehen, einer Fehldiagnose aufzusitzen. Nicht selten sind die Krankheitssymptome nämlich leicht mit anderen weit verbreiteten menschlichen Eigenheiten zu verwechseln. Eitelkeit und Geltungssucht zählen dazu. Gewiss: Zumal wenn sie, was nicht selten geschieht, auch noch zusammentreffen, können Eitelkeit und Geltungssucht durch die davon Befallenen als durchaus quälend empfunden werden. Eitle Menschen, die sich auf ihr herausragendes Aussehen oder ihre hervorstechende Intelligenz etwas einbilden, dürsten nach ständiger Bestätigung, sei es beim Blick in den Spiegel, sei es durch die tägliche Erfüllung der Hoffnung, bewundert zu werden. Geltungssucht lechzt nach Befriedigung durch offenkundige Anerkennung der eigenen Bedeutung. Eitelkeit genau wie Geltungssucht werden jedoch immerhin hie und da befriedigt, und sei es nur in den seltenen Augenblicken der durch den Beifall der Umwelt bestätigten Begeisterung über das eigene Äußere, die eigene Wirkung oder die eigenen Geistesgaben.

Und was wäre eigentlich dagegen einzuwenden, wenn jemand sich vornimmt, im Leben voranzukommen, indem er lernt, sein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, wenn er rundum ehrgeizig ist? Zwar mag sich früher regelmäßig viel Häme hinter der schönen Feststellung verborgen haben, dass ein bestimmter junger Mensch »nach Höherem strebt«. Doch solche Eigenheiten verdienen schon deswegen keine besondere Aufmerksamkeit, weil sie im Grunde einer großen Mehrheit von uns sozusagen ganz selbstverständlich zu eigen sind.

Die Sucht, dazuzugehören, verdient es, sehr viel ernster genommen zu werden. In gewissem Sinne spielt sie übrigens, das soll nicht übersehen werden, hie und da auch dann eine durchaus ernstzunehmende, ja eine gewichtige Rolle, wenn sie auf Gemeinschaften zielt, die sich – aus welchen Gründen auch immer – nach Art von Geheimbünden nach außen abschotten. Vor allem finstere Brüderschaften wie der inzwischen auch nach Europa vordringende Ku-Klux-Klan oder die rechtsradikalen Schlägertruppen mit ihren Träumen von einer nazistischen Wiedergeburt zählen dazu, aber auch manche reaktionäre Burschenschaften oder die katholische Opus-Dei-Organisation.

Doch darum dreht es sich hier nicht, zumindest nicht in erster Linie. Es geht weder um Ehrgeiz, Eitelkeit oder das Bestreben, voranzukommen.



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