Eine sizilianische Romanze by Ann Radcliffe

Eine sizilianische Romanze by Ann Radcliffe

Autor:Ann Radcliffe [Radcliffe, Ann]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Books on Demand GmbH
veröffentlicht: 2017-04-13T16:00:00+00:00


ZWEITER TEIL.

Siebentes Kapitel.

WIE der Tag sich neigte, kam Madame in einem kleinen Dorfe zwischen Gebirgen an, wo sie die Nacht zuzubringen dachte. Der Abend war außerordentlich angenehm, und die romantische Schönheit der umliegenden Gegend lud sie zu einem Spaziergange ein. Sie folgte den Biegungen eines Baches, der sich in einiger Entfernung zwischen üppigen Kastanienwäldern verlor. Die reiche Farbe des Abends glühte durch das dunkle Laub, und die düstere Stille dieser Schattengänge, die mit der gegenwärtigen Stimmung ihrer Seele harmonierte, lockte sie hineinzugehen. Ihre Gedanken weilten auf den Gegenständen rings um sie her, und versenkten sie nach und nach in eine süße, behagliche Schwermut. Unmerklich schritt sie immer weiter fort, und folgte dem Laufe des Bachs, bis die tiefen Schatten sich zurückzogen, die Gegend sich dem Tageslichte wieder öffnete, und ihr eine so mannigfaltige, erhabene Aussicht zeigte, daß sie in entzücktem Staunen dastand. Eine Gruppe wilder, grotesker Felsen, deren phantastische Gestalten die Natur in ihren erhabensten wunderbarsten Stellungen zeigten, stiegen im Halbkreis auf. Hier hob die weite Pracht der Schöpfung die Seele des Betrachters zu hoher Begeisterung empor: Phantasie haschte das schwirrende Gefühl auf, und durch ihre Berührung wurden die aufgetürmten Stufen mit unwirklicher Dunkelheit umschattet; finster runzelten die Klüfte ihre Stirnen, die hervorragenden Klippen blickten furchtbarer, und das wild überhangende Gesträuch wehte in tieferem Gemurmel in die Lüfte. Schauder und Ehrfurcht durchdrangen Madame de Menon, und unwillkürlich stiegen ihre Gedanken von der Natur zu der Natur Schöpfer auf. Der letzte, sterbende Schimmer des Tages rötete die Felsen, und strahlte auf das Wasser, das sich durch einen rauhen Kanal zurückzog, und sich in der Ferne zwischen den weichenden Klippen verlor.

Während sie seinem fernen Gemurmel zuhörte, stieg eine süße, melodische Stimme zwischen den Felsen auf, und sang ein Lied, dessen schwermütiger Ausdruck alle ihre Aufmerksamkeit rege machte und ihr Herz durchdrang. Die Töne schwollen, und starben leise in den hellen und doch sanften Echos hinweg, die mit einer der Bezauberung gleichen Wirkung von den Felsen wiederhallten. Madame sah sich nach der süßen Sängerin um, und entdeckte in einiger Entfernung ein Bauernmädchen, das auf einem kleinen Abhange des Felsens, von herabhängendem Bergahorn beschattet, saß. Sie ging langsam nach dem Orte zu, und hatte ihn beinahe erreicht, als der Laut ihrer Schritte die kleine Sirene erschreckte und zum Schweigen brachte; sie stand auf, als wollte sie von dannen eilen.

Madames Stimme hielt sie zurück; sie kam näher – und welche Sprache kann Madame de Menons Empfindung ausdrücken, als sie in der Verkleidung einer Bäuerin Julias Züge erkannte, deren Augen mit plötzlicher Erinnerung sich aufschlugen, und die, von Freude überwältigt, in ihre Arme sank. Als der erste gegenseitige Ausbruch ihrer Empfindungen sich gelegt, und Julia auf ihre Fragen nach Ferdinand und Emilia Antwort erhalten hatte, führte sie Madame nach ihrem heimlichen Aufenthalte. Es war eine einsame Hütte, in einem eingeschlossenen Tale von Bergen umgeben, deren Klippen jedem menschlichen Fußtritte unzugänglich zu sein schienen. Die tiefe Einsamkeit der Szene zerstreute auf einmal Madames Verwunderung, daß Julia so lange unentdeckt geblieben war; und sie erstaunte nur, wie Julia einen so tief verborgenen Platz hatte auffinden können.



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