Eine Schublade voller Briefe by Yumoto Kazumi

Eine Schublade voller Briefe by Yumoto Kazumi

Autor:Yumoto, Kazumi [Yumoto, Kazumi]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Vater,

wie geht es dir? Heute hat Osamu gesagt: »Ich pflücke die Schlangenkürbisse für dich.« Er versuchte, auf die Pappel zu klettern. Aber unten am Baum gibt es keine Aste, und als er noch überlegte, was er machen sollte, fragte die Vermieterin: »Was tust du denn da?« Osamu sagte: »Ich will die Schlangenkürbisse holen, aber ich komme nicht auf den Baum.« Sie ging dann in den Schuppen und holte die Gartenschere für ihn. Das ist eine Schere mit besonders langem Griff. »Mein Professor hat sie in einem Gärtnereigeschäft gekauft, als er noch lebte«, erzählte sie uns. Osamu drehte einen großen Einmachtopf um und stieg darauf. Dann sagte er »uff« und hob die Schere. Damit konnte er den unteren Kürbis gerade erreichen. Osamus Arme zitterten wie verrückt. Endlich erwischte er den Kürbis und ich fing ihn im Fallen auf. »Gut gemacht«, sagte Osamu mit lauter Stimme. Ich war wirklich glücklich. Aber die Schere war so schwer, dass Osamu dann umkippte .

Der Kürbis glänzte sehr stark. Ich hatte erwartet, dass er weich wie eine Tomate sein würde, aber das war er nicht. Als ich fragte, ob man diese Kürbisse essen kann, erwiderte die Vermieterin: »Versuch es doch mal.« Aber als ich hineinbeißen wollte, sagte Osamu: »Chiaki, lass es lieber«, und ich tat es nicht. Die Vermieterin fragte: »Wollte sie den wirklich essen?«, und ich war wütend.

Ich sagte, wir sollten den Kürbis mit in die Kirche nehmen, weil er so schön war, und ihn dem Mann am Kreuz geben. Osamu hielt das für eine gute Idee. Ich fand es ein wenig unheimlich, in die Kirche zu gehen, wo doch sonst niemand da war. Osamu sagte: »Wenn jemand stirbt, geht er in das Land Gottes. Du wirst auch dorthin gehen, Chiaki. Und ich auch.« Gott ist ein Hirte und die Menschen sind seine Schafe. Ich versuchte, mir dich als Schaf vorzustellen, Vater. Aber ich kann es nicht glauben. Ich mag mir nicht vorstellen, wie du ganz allein, nur mit einem Kaninchen als Gesellschaft, oben auf dem Mond sitzt, und ich will auch nicht, dass du ein Schaf wirst. Wenn du ein Schaf wirst, dann kann ich dich bestimmt nicht von allen anderen Schafen unterscheiden.

Jesus war nackt und ganz allein. Er schien sich zu langweilen. Ich legte den Kürbis unter das Kreuz. Dann rannte ich nach draußen und da kam mir der Gedanke, dass Jesus ein bisschen ist wie du. Er sieht eher wie du aus als das Bild auf unserem Hausaltar. Aber ich finde das auch wieder seltsam. Osamu sagte, nächstes Mal würden wir Blumen mitnehmen. Ich möchte gern wieder hingehen.

Aber wenn ich an seiner Stelle wäre, dann hätte ich lieber Schlangenkürbisse als Blumen. Ich glaube, wenn dich jemand fragte, dann würdest du das auch sagen.

Für heute auf Wiedersehen.



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