Ein Russischer Roman by Shalev Meir

Ein Russischer Roman by Shalev Meir

Autor:Shalev, Meir [Shalev, Meir]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 9783257606041
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 2014-12-30T00:00:00+00:00


[270] 28

Als wir elf Jahre alt waren, veranstaltete Pines einen seiner letzten Ausflüge.

»Wie in den guten alten Zeiten, mit Pferd und Wagen«, verkündete er.

In jüngeren Jahren hatte er seine Schüler auf Exkursionen, die gut und gern drei Wochen dauern konnten, bis zum Golan und Choran geführt. Sie preßten Blumen, fingen Insekten, aßen und übernachteten in Moschawim und Kibbuzim oder auch in arabischen Dörfern, die Rilow empfohlen hatte. Die Eltern beschwerten sich wütend, Pines hole die Jungen und Mädchen ausgerechnet dann aus der Landwirtschaft heraus, wenn ihre Hilfe am dringendsten gebraucht werde. Aber Pines erklärte in der dafür einberufenen Sitzung, in seinem Zweig herrsche ›immer Hochsaison‹.

»Was die Schule heute sät, werdet ihr erst in zehn Jahren ernten«, sagte er, »nur Geduld, Freunde.«

Jetzt plante er einen dreitägigen Ausflug. »Es tut mir leid, meine Kinder, eure Eltern werden euch von großen Ausflügen erzählen, aber ich habe heute nicht mehr die Kraft von damals, kann nicht mehr so weite Sprünge machen. Wir werden nur bis an den Kischon und zum antiken Bet Schearim fahren.«

Frühmorgens brachte Großvater mich zum Haus des Lehrers.

»Paß auf mein Kind auf, Jakob«, sagte er.

Mit elf hatte ich schon Großvaters Höhe erreicht. Pines sagte lachend, ich würde wohl eher auf ihn aufpassen.

Daniel Lieberson gab uns Begleitschutz. Mit Gewehr und Peitsche bewaffnet, ritt er hoch zu Roß. Sein Blick schälte mir förmlich die Haut ab, suchte auf meiner Stirn nach verlorenen Zeichen.

[271] Im Kischontal holten wir die kleinen Bibeln mit dem roten Schnitt aus den Rucksäcken und lasen mit dünnen, aufgeregten Stimmen:

»Könige kamen und kämpften,

damals kämpften Kanaans Könige

in Taanach, an den Wassern Megiddos,

doch Beute an Silber machten sie nicht.

Vom Himmel her kämpften die Sterne,

von ihren Bahnen aus kämpften sie gegen Sisera.

Der Bach Kischon schwemmte sie fort, der altberühmte Bach, der Bach Kischon.«

Pines schwang im alten Rhythmus der Worte mit, rügte die Stadtältesten von Meros, die ›auf der Müllhalde des Dorfes saßen und sich um den Krieg herumdrückten‹. Und später sagte er: »Die Kanaaniter hatten neunhundert Kampfwagen, sie stürmten durchs Emek, und wir verbargen uns zwischen den Eichen des Tabor.« Sein Finger zeichnete weiträumige Truppenbewegungen in der Luft, seine Stimme wurde erregt. »Und dann ist Regen gefallen. Und was passiert bei uns im Emek, wenn es regnet?«

»Es gibt Matsch«, riefen wir.

»Wieviel Matsch?«

»Massenweise«, schrien wir, »die Stiefel bleiben drin stecken und kommen nicht wieder raus.«

»Bis zum Bauch der Kühe«, sagte mein Vetter Jossi ernsthaft.

»Und der Schlamm reichte den Pferden bis an den Bauch«, führte uns Pines Schritt für Schritt weiter, »die Wagenräder blieben im Morast stecken, und wir kamen aus dem Wald und schlugen sie. Dann hatte das Land vierzig Jahre lang Ruhe.«

»Ruhe«, sagte Pines danach wie zu sich selbst, »diese Ruhe, die nach Jahren bemessen wird.« Aber wir waren Kinder, die sein Gemurmel noch nicht verstanden.

[272] Am nächsten Tag fuhren wir zum antiken Bet Schearim. Schon unterwegs warnte uns Pines, daß wir ›einen furchtbaren Ort‹ besuchen würden.

»Hierher brachte man die Toten aus der Diaspora, um sie in der Erde unseres Landes zu bestatten«, erklärte er uns, als wir in den geräumigen Grabhöhlen standen.



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