Ein Jahr auf Probe by Lise Gast

Ein Jahr auf Probe by Lise Gast

Autor:Lise Gast [Gast, Lise]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Saga
veröffentlicht: 2016-04-21T00:00:00+00:00


Wenn Barbara später an diesen Sonntagnachmittag bei Pastor Böhm zurückdachte, kam er ihr immer wie ein Traum vor. Dieses helle, ein wenig nüchterne Pfarrhaus mit den gescheuerten Dielen und den ramponierten Möbeln – sauber war alles, aber verwohnt und verwettert, einfach unbeschreiblich. Und mittendrin die kleine, runde, strahlend freundliche Pastorin, die sie sogleich herzlich an der Hand nahm; und überall Kinder, Kinder in jeder Größe.

„Ja, wieviel haben Sie denn?“ fragte Barbara einmal, als die kleine Frau wieder ein heulendes, auf die Nase gefallenes Gör aufhob.

„Gar nicht so viel, neun“, lachte die Pfarrersfrau. „Das hier sind schon Enkel. Es ist heute ein bißchen lebhaft bei uns, wir haben gerade wieder einmal getauft, und da kommen so viele wie möglich zu Besuch. Es ist so hübsch, sich bei solchen Festen zu treffen und nicht nur bei Beerdigungen.“

„Um Himmels willen, Taufe – da störe ich doch!“ sagte Barbara erschrocken.

Die kleine Pfarrfrau aber zog sie freundlich-unerbittlich mit sich. „Gar nicht. Mein Mann macht einen Spaziergang mit Ihnen, er ist heute noch nicht an die Luft gekommen“, sagte sie vergnügt. „Und können Sie nicht begreifen, daß er gern einmal von hier entflieht?“

So ähnlich mußte es bei Bachs zugegangen sein, dachte Barbara, während sie durch die Räume ging. Überall Kinder und überall Musik. Da lehnte ein Cello, und dort lag eine Geige, am Spinett saß jemand und ließ es zirpen, es klang entzückend. Pastor Böhm, dünn, klein und lebhaft, erhob sich sogleich, als seine Frau Barbara zur Tür hereinschob.

„Friedrich ist draußen, er brachte sie her“, meldete sie. „Ja, und du gehst sicher gern ein Stück mit ihr, das habe ich ihr versprochen. Wir können dich im Augenblick gar nicht brauchen. Wir müssen das Kaffeegeschirr abwaschen und zum Abendbrot neu decken – und draußen warst du heute auch noch nicht. Also?“

„Also? Sie sehen, hier muß man gehorchen“, sagte der Pfarrer. „Gut, gehen wir. Bis?“

„Bis wann du willst!“ lachte seine Frau und war schon wieder davongerollt. Man hatte bei ihr immer das Gefühl, als rolle sie – so eilig-eifrig waren ihre kleinen Schritte. Barbara folgte dem Pastor, der den Mantel vom Haken nahm. Sie gingen miteinander los. Wohin? Barbara merkte es erst, als sie draußen in den Talwiesen vor dem Gütle standen. Hatte sie den alten Herrn hierhergeführt?

„Das haben Mutters Jungen gebaut, ehe ich herkam“, sagte sie und deutete stolz auf das kleine Haus. „Sie sind so geschickt und können alles, mauern und tischlern und Fenster einsetzen – wirklich, ich habe keine Ahnung, wie man so etwas nebenbei lernen kann. Das einzige, was ich dazu tun konnte, wenn bei uns gebaut wird, ist Bierholen ... Es ist so lustig bei Baumhauers, so vergnügt. Oh, ich möchte gern dazugehören, so gern bleiben – verstehen Sie das? Ich möchte nichts lieber ...“

Sie hatte alles erzählt. Wild durcheinander, vom Heim und von den beiden Fehlschlägen, die sie erlebt hatte, von der Zigeunerin und von Mutter, Christian und Tine. Und daß sie wirklich nie mehr etwas nehmen wollte, was anderen gehörte, nie mehr ...



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