Dunkelsprung by Swann Leonie

Dunkelsprung by Swann Leonie

Autor:Swann, Leonie
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: GOLDMANN
veröffentlicht: 2014-10-09T04:00:00+00:00


Julius Birdwell merkte, dass er trotz der eher klammen Temperaturen im blauen Zimmer zu schwitzen begonnen hatte. Er warf einen letzten prüfenden Blick in den Flohpalast, bog Drähte zurecht und wischte echten und eingebildeten Staub von schimmernden goldenen Oberflächen. Seine Flöhe standen schon alle in ihren Kostümen und Apparaturen bereit, konzentriert und gelassen. Julius war stolz auf sie.

Er holte tief Luft, öffnete die Tür und trat hinüber in die Bibliothek.

Jemand hatte die Plastikfolien von den Regalen und dem Globus entfernt und einen samtigen dunkelblauen Teppich auf dem staubigen Fußboden ausgerollt. Auf dem Teppich saß sein Publikum, komplett mit Hörnern und Haaren und Klauen und Schnecken und Fühlern und Schwingen und Schweifen. Alle schnatterten wild durcheinander, in einer Sprache, die Julius noch nie gehört hatte, einer Melodie aus fein modulierten Klick-, Zisch- und Fauchtönen. Waren das alles Wesen, die Rose vor Fawkes gerettet hatte? So viele? Aber wenn man genauer hinsah, konnte man erkennen, dass es so etwas wie zwei Fraktionen gab: Links saß eine kleine Gruppe, misstrauisch und gedrängt, kleinlaut, fast stumm – Mr. Fox, die Schneckenfrau, der Grillenmann und eine Art Vogelmädchen mit scharfen schwarzen Klauen und wilden Augen. Aber die Mehrzahl der Wesen war deutlich entspannter. Man stupste und schubste, kaute und kicherte. Es waren die Wesen, mit denen Emily befreundet war – sie mussten hier schon seit langer Zeit leben. Etwas seitlich des Teppichs saß sein menschliches Publikum auf einem zierlichen Sofa, Emily mit vor Aufregung glühenden Wangen, Rose kalt und misstrauisch.

Julius erwog einen Moment, den Flohpalast einfach wieder zuzuklappen und wegzurennen. Stattdessen trat er an den niedrigen Ebenholztisch, auf dem die Vorstellung stattfinden sollte, und verbeugte sich zaghaft. Wenn er jetzt wenigstens seinen Zylinder gehabt hätte!

Emily applaudierte enthusiastisch. Sonst klatschte niemand. Augen, Nüstern, Fühler und Fuchsohren waren mit spöttischer Aufmerksamkeit auf Julius gerichtet.

Jemand in der letzten Reihe warf einen Pfirsichkern.

Es war das Beste, was Julius hätte passieren können. In so gut wie jeder Vorstellung warf irgendein Einfaltspinsel irgendetwas. Es erinnerte ihn daran, was er hier vor sich hatte: ein Publikum, nichts weiter, und mit Publikum kannte er, Julius Birdwell, sich aus wie kein Zweiter.

Er breitete die Arme aus, und wie jedes Mal fiel die Angst, alle Angst, einfach von ihm ab.

»Meine Damen und Herren und, äh, Kinder, willkommen im besten Flohzirkus der Welt. Dies hier sind keine einfachen Katzenflöhe, sondern weitgereiste, welterfahrene Artisten ersten Rangs. Cleopatra ist auf einem Krokodil bis zu den Quellen des Nil gereist, Marie Antoinette war jahrelang bei einer französischen Kurtisane in der Lehre, Tesla hier hat das Blut von drei Nobelpreisträgern getrunken. Sie alle sind mit geheimem Wissen von ihren Fahrten zurückgekehrt, das sie nun zur Erbauung von Ihnen, geehrtes Publikum, zur Schau stellen werden! Applaus, meine Damen und Herren, Applaus für Zarathustra, der bei den Weisen des Orients die Kunst der Selbstlevitation erlernt hat!«

Wieder klatschte nur Emily.

Julius holte Zarathustra aus dem Flohpalast und setzte ihn vorsichtig neben einer winzigen goldenen Kugel aus federleichtem Pappmaché ab. Die meisten Zirkusflöhe können einen Ball kicken, solange der Ball nur leicht genug ist, doch



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