Dieser Volkszähler by China Miéville

Dieser Volkszähler by China Miéville

Autor:China Miéville [Miéville, China]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Liebeskind
veröffentlicht: 2017-01-15T00:00:00+00:00


In jener ersten Nacht allein mit meinem Vater hockte ich ohne jede Hoffnung in der Küche.

Er kochte, warf ab und zu einen Blick zu mir herüber, während ich wartete, stumm und eingefallen wie ein leerer Beutel. Ich fühlte mich beinah zu leer, um Angst zu haben, bis es tiefe Nacht war und ich in meinem Kabuff lag und darauf wartete, dass mein Vater die Treppe heraufstieg; ich stellte mir vor, wie er in meiner Tür stand, zwischen seinem Zimmer und der leeren Kammer meiner Mutter, und mich wie ein seltsames Ding betrachtete, mich ansah und doch wieder nicht. Ich starrte an die Decke, die Unterseite des Dachbodens, bis mir schwindlig wurde. Ich stellte mir vor, wie mein Vater mich beobachtete, als sei ich etwas, das er zum Stillstand bringen musste.

Ich erinnere mich nicht daran, geschlafen zu haben. Am nächsten Tag war ich langsam und unruhig. Ich wusste nicht, was ich tun sollte oder was passieren würde.

Mein Vater würde Schlüssel machen. Und ich?

»Willst du spielen gehen?«, fragte er.

Wieder gab er mir zu essen. Das heißt, er stellte mir etwas hin, als das graue Licht heller wurde, doch ich rührte es nicht an. »Ich arbeite den ganzen Tag«, fuhr er fort. »Das hier ist für später. Geh nicht zu weit weg.«

Während er Metall schnitt, öffnete ich die Tür zum Zimmer meiner Mutter.

Das Bett war nicht bezogen, auf den Regalen und anderen Oberflächen, die abgewischt worden waren, lagen keine Bücher, deshalb gab es auch keine Ränder, wo die Bücher vorher gelegen hatten.

Ich durchwanderte das Stück Land rings um unser Haus. Was tut man an einem solchen Tag wie diesem?

Ich wollte den Brief noch einmal sehen, als würde es helfen, wenn ich darauf starrte, aber ich wusste nicht, wo er war. Mehrmals an jenem Tag rief mein Vater vom Hauseingang aus nach mir. Er klang nicht wütend, wollte nur nachschauen und sicher sein, dass ich in der Nähe blieb. Er wollte, dass ich antwortete.

Mit der Spitze eines Stocks, den ich zu diesem Zweck angekokelt hatte, zeichnete ich Markierungen auf einen Fels. Nach einer Weile wurden daraus Buchstaben, dann Wörter. Ich weiß nicht mehr, was genau ich schrieb. Das kommt mir heute recht merkwürdig vor. Ich schrieb irgendetwas, dann trat ich zurück und warf mit Steinen nach den Wörtern, suchte nach einer bestimmten Parabel, der richtigen Flugkurve.

Wenn ich sie treffe, dachte ich, dann heißt das, ich kann gehen.

Die ersten Würfe verfehlten weit das Ziel. Ich versuchte es immer wieder. Als einer der Steine einen Bogen beschrieb und genau auf dem Geschriebenen landete, spürte ich, wie etwas in mir zusammengedrückt wurde, als sei es die Schrift gewesen, die die Steine angezogen hätte.

Er rief mich, als die Sonne unterging. Ein Tag war vergangen. Ich sah zu, wie sich die Dunkelheit ausbreitete, und ich hörte ihn, und mir wurde wieder ganz kalt. Ich wischte alles weg, was ich auf den Stein geschrieben hatte, bevor ich gehorchte. Ich machte meine Tafel, die Steinseite, die der Berg mir bereitgestellt hatte, unleserlich.

Er brachte mir ein Glas süßer, nach Kräutern schmeckender Milch, als ich im Bett lag, und er starrte mich an, bis ich sie trank.



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