Die Zweite Genesis-Akte by Charles Grant

Die Zweite Genesis-Akte by Charles Grant

Autor:Charles Grant [Grant, Charles]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-09-07T00:00:00+00:00


Zwölf

Leb Coster saß mit angezogenen Beinen auf dem Boden des Stalls. Die Flügeltür stand ein paar Zentimeter weit offen, und ein schmaler Streifen Licht fiel an seiner linken Schulter vorbei, erreichte die gegenüberliegende Box jedoch schon nicht mehr. Geistesabwesend biß Leb auf dem rechten Daumennagel herum, mit der anderen Hand massierte er sich methodisch eine Gesichtshälfte von der Schläfe bis zum Kinn. Hin und wieder hielt er inne und kratzte sich im Bart oder rieb sich die Nase, um ein Niesen zu unterdrücken.

Er brauchte Stille.

Er mußte nachdenken.

Die erste Entscheidung war ihm sehr leicht gefallen: Nicht um alles in der Welt wäre er in der Nacht in die Prärie hinausgegangen. Sollten sich Bliss und Wayman und all die anderen Trottel vollends zum Narren machen, wenn sie glaubten, sie würden den alten Otis noch finden. Sie mußten wissen, wie aussichtslos das war, denn schließlich hatten sie das verdammte Pferd gesehen. Und wenn sie den Alten durch irgendeinen Zufall doch noch fanden, dann würde nicht mehr von ihm übrig sein, als auf einem Teelöffel Platz hatte.

Coster griff nach der Flasche, die neben ihm stand, umfaßte sie am Hals, hob sie und wartete, bis er ganz sicher war, sich eine weitere Portion Mut antrinken zu müssen. Dann setzte er sie an die Lippen.

Er nahm einen Schluck, hustete und stellte die Flasche wieder ab.

Im Grunde hatte Ken Stark Glück gehabt. Er war auf eigene Faust losgezogen, um sein dämliches Weib zu suchen. Glück deswegen, weil er sie fand und sein Verstand sich daraufhin verabschiedet hatte. Jetzt wußte er kaum noch seinen eigenen Namen.

Aber wenigstens war er noch immer am Leben. Damit trennten ihn schon Welten vom armen alten Otis.

Coster senkte den Kopf, als wollte er beten, und lauschte der namenlosen Mähre, die sich in ihrer Box unruhig regte. Er hatte für das bedauernswerte alte Mädchen getan, was in seiner Macht stand – sie trockengerieben, ihr ein wenig Wasser und ein wenig Heu gegeben und dann in eine warme Decke gehüllt, um das Zittern zu stoppen, das sie kaum aufrecht stehen ließ. Trotzdem wurde Coster das Gefühl nicht los, daß ihre Tage auf Erden gezählt waren.

Nach all dem, was sie vermutlich gesehen hatte.

Verdammt noch mal, Otis, du blöder Dummkopf, was hattest du heute abend da draußen zu suchen? Hast du geglaubt, wir leben immer noch in der guten alten Zeit, du Idiot?

Coster seufzte erschöpft und lehnte sich gegen die Mauer. Mit den Fingern strich er über die Flasche, streichelte sie und hielt sich daran fest.

Alles in ihm, jedes bißchen Verstand, das er noch besaß, drängte ihn, sich von seinem Hintern zu erheben und so schnell nach Hause zu rennen, wie er nur konnte, sich in den verdammten Lastwagen zu setzen und wie vom Teufel gehetzt davonzufahren. Ganz gleich, in welche Richtung, das Wohin spielte überhaupt keine Rolle. Nur fort mußte er. Leb brauchte nicht noch mehr Geld. Er besaß genug davon, um für den Rest seines elenden Lebens ausgesorgt zu haben. Den anderen war's doch egal! Dann blieb um so mehr für sie selber übrig.

Wenn er hierblieb, dann würde er sterben.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.