Die vielen Leben des Harry August by Claire North

Die vielen Leben des Harry August by Claire North

Autor:Claire North [North, Claire]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Science Fiction
ISBN: 9783732513086
Herausgeber: Bastei Lübbe
veröffentlicht: 2015-06-14T22:00:00+00:00


Kapitel 47

Vincent, der neben mir durch die Gänge einer Forschungseinrichtung des sowjetrussischen Militärs schlenderte.

Mr. Hulne, wenn Sie mich jetzt sehen könnten.

Ich hatte die Waffe behalten dürfen. Weshalb auch nicht? Ihn zu töten brachte mir keinen Vorteil, und mich selbst zu erschießen bewirkte zu diesem prekären Zeitpunkt gar nichts, sondern verurteilte mich nur dazu, wieder einmal ganz von vorn anzufangen. Man machte uns Platz, einige Leute warfen mir skeptische Blicke zu, aber niemand stellte Fragen. Dieser junge Mann mit seinem schäbigen Jackett und den heruntergerollten Strümpfen war unverkennbar eine Respektsperson, ein Wink seiner Hand öffnete jede verschlossene Tür, ließ jede bewaffnete Patrouille beiseitetreten.

»Ich bin froh, dass du es bist«, äußerte er, während wir ein Stockwerk und noch eines nach unten gingen, wo die Luft feucht und kalt war. »Als ich merkte, dass ein Element meiner Technologie vor seiner Zeit auf den freien Markt gelangt war, hoffte ich, der Cronus Club wäre zu sehr mit Trinken beschäftigt, um darauf aufmerksam zu werden. Ich war überrascht, dass dieser winzige Anachronismus überhaupt jemandem aufgefallen ist, aber wenn es schon sein musste, freut es mich, dass du derjenige welcher gewesen bist, Harry. Ist Harry noch aktuell?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Harry ist so gut wie jeder andere Name. Was ist mit dir? Wie bist du Vitali geworden?«

Auch bei ihm ein Schulterzucken. »Für die Dauer einiger Leben habe ich versucht, mein Vorhaben mithilfe der US-amerikanischen Industrie zu verwirklichen, aber in diesem Umfeld eine wie auch immer geartete technologische Innovation geheim zu halten ist so gut wie unmöglich. Wenn nicht Geschäftsleute oder gierige Wissenschaftler, waren es Generäle oder Regierungsbeauftragte, die wissen wollten, wie viel ich produzieren kann und wie schnell. Vornehme Zurückhaltung ist ihre Sache nicht. Hierzulande dagegen ist Geheimniskrämerei ein Kulturgut.«

Je weiter es nach unten ging, desto kälter wurde es und desto dicker und zahlreicher wurden die Rohre und Kabelstränge, bis die Wände links und rechts völlig davon überwuchert waren. »Wie ist es dir seit unserer letzten Begegnung ergangen?«, fragte er im Plauderton. »Hast du deine Professur bekommen?«

»Wie? Ja, zu guter Letzt. Genauer gesagt, nachdem Fred Hoyle mir Prügel angedroht hatte.«

»Meiner Treu, deine akademische Karriere war von Gewalttätigkeit geprägt.«

»Eigentlich haben in dem betreffenden Leben nur du und Hoyle Zuflucht zu handgreiflichen Argumenten genommen.«

»Schön, dass ich in guter Gesellschaft war. Hier.«

Er hielt mir eine dünne, transparente Plakette hin. Ich betrachtete sie – ein simples Personendosimeter, das anzeigte, ob man einer Strahlung ausgesetzt gewesen war, aber nicht, wie schlimm es einen erwischt hatte.

»Vincent, ich kenne dich; du bist zu anspruchsvoll, um für die Sowjets Atomwaffen zu bauen. Also was ist im Busch?«

»Oh, ich baue Atomwaffen«, sagte er und zog lässig an dem Riegel einer Tür von der Größe einer kleinen Burg. »Doch achte ich streng darauf, dass fähige Mitarbeiter unterhalb ihres Potenzials bleiben und in der Endfertigung kleine Konstruktionsfehler eingeschmuggelt werden, sodass die Bomben, sollten sie je zum Einsatz kommen, historisch korrekt detonieren. Bestimmt würde selbst dem Cronus Club eine Veränderung des Gleichgewichts im globalen Wettrüsten auffallen.«

»Und niemand stellt irgendwelche Fragen?«

»Wie vorhin gesagt«, erwiderte er augenzwinkernd. »Bemerkenswertes System, das die Sowjets haben.



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