Die verlorenen Söhne by Necla Kelek

Die verlorenen Söhne by Necla Kelek

Autor:Necla Kelek
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-462-30459-6
Herausgeber: Kiepenheuer & Witsch Verlag
veröffentlicht: 2015-04-06T16:00:00+00:00


Eine nachzuahmende Pflicht

Mich beschäftigte dieses Erlebnis noch lange – die Bilder dieses »Festes« ließen mich nicht los. In keiner Sure des Korans lässt sich ein Hinweis auf das Beschneidungsgebot finden, die Beschneidung gehört zur sunna, einer nachzuahmenden Gewohnheit, auf jeden Fall ist sie »Pflicht und Voraussetzung für die Gültigkeit des Umkreisens der Kaaba bei der Pilgerfahrt und der Wallfahrt«. Es gibt einige hadithe, überlieferte Worte und Taten der Propheten, die zur Begründung dieser »nachzuahmenden Pflicht« herhalten müssen. Eingefordert wird diese unter Berufung auf Abraham: »Abraham vollzog für sich die Beschneidung, als er im Alter von achtzig Jahren war, und bediente sich dazu der Axt« (Al Bukhari Hadith 6298, Muslim Hadith 2370). Ob die Beschneidung wirklich Pflicht oder bloße Empfehlung ist, darüber gingen die Meinungen unter den Islamgelehrten immer schon auseinander. Viele begründen sie hygienisch: »Zur fitrah, Hygiene, gehören fünf Dinge: die Beschneidung, das Abrasieren der Schamhaare, das Kürzen des Schnurrbartes, das Wachsenlassen des Bartes, das Benutzen des miswak, Zahnbürste aus Holz.« Die Beschneidung ist ein Brauch wie das Barttragen, mit dem sich Fundamentalisten heute von den Ungläubigen, die Sauberen von den Unreinen, den Nichtmuslimen, abgrenzen.

Die Geschichte der Beschneidung ist lang und auch nicht auf den Islam beschränkt. Die Ägypter beschnitten ihre Sklaven, um sie herabzuwürdigen und als Sklaven kenntlich zu machen. Die Nachkommen von Sklaven wurden ebenfalls beschnitten. Auch die Juden machten die Beschneidung in der babylonischen Gefangenschaft zur Pflicht. Die Beschneidung der Jungen bis zum achten Tag nach der Geburt gilt als »Zeichen des Bundes zwischen mir und euch«, so steht es im 1. Buch Mose, Vers 17. Der Apostel Paulus, als Judenchrist selbst beschnitten, lehnte die »Beschneidung des Herzens«, wie er die Amputation der Vorhaut nannte, als Demütigung ab.

Die Muslime übernahmen, wie in vielen anderen Fällen, Sitten und Riten der vorislamischen Zeit, adaptierten Bräuche vor allem der Juden und Christen und machten sie zur eigenen Sunna, auch um mit solchen verpflichtenden »nachzuahmenden Gewohnheiten« die Gemeinschaftssozialisation zu sichern. Mit welcher demonstrativen Pracht das Beschneidungsfest auch früher schon zelebriert wurde, macht der 1829 veröffentlichte Bericht des österreichischen Gesandten Graf Julius von Lezsky deutlich, der die Beschneidung des Sohnes von Murad III. im Jahr 1583 schildert. Zu diesem mehrere Tage währenden Volksfest marschierten Legionen von in- und ausländischen Gästen und Würdenträgern am Hof des Sultans auf, die Flotte und die Armee paradierten vorbei, alle Zünfte des Landes präsentierten ihre Künste. Nur der, um den es bei diesem Fest ging – Mohammed, der Sohn Murats des III. –, kam in der Geschichte kaum vor. Erst am Schluss erwähnte Graf Lezsky, dass »Sultan Mohammed im Serail am Hippodrome vom Wesir Dscherrah Mohammedpasche eigenhändig beschnitten ward; das Ergebnis der Beschneidung wurde in goldener Schale der Sultanin Chasseki, Mutter Sultan Mohammeds, das blutige Messer der Sultanin Walide, Mutter Sultan Murads, zugesandt«. Für die glückliche Beschneidung erhielt »der Wesir Beschneider« achttausend Dukaten.



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