Die verborgenen Kammer by Kastner Corinna

Die verborgenen Kammer by Kastner Corinna

Autor:Kastner, Corinna [Kastner, Corinna]
Format: epub
veröffentlicht: 2020-05-29T00:00:00+00:00


Teil 3

September 2007

»Warum hörst du auf?« Romans Stimme durchschnitt die plötzliche Stille erst nach einer ganzen Weile. Er hatte gezögert zu sprechen, weil er fürchtete, dadurch die Vergangenheit wieder zu dem zu machen, was sie war: längst vergangen. Dabei kam sie ihm so wirklich vor. Sie saßen in diesem Zimmer, das noch immer Marie von Hassbachs Persönlichkeit widerspiegelte und vermutlich seit Anfang des letzten Jahrhunderts unverändert geblieben war. Beinah meinte er, sie dort an ihrem Schreibtisch sitzen zu sehen, wie sie beim schwachen Schein einer Petroleumlampe in ihr Tagebuch schrieb.

»Weil hier Schluss ist«, antwortete Viktoria, ebenfalls erst nach geraumer Zeit. Sie klappte das Tagebuch zu und rieb sich die Augen. »Mehr steht hier nicht.«

»Sie hat einfach aufgehört? Oder war das die letzte Seite des Buchs?«

Viktoria schüttelte den Kopf. »Ein paar Seiten hätte sie noch füllen können.«

»Merkwürdig.«

Draußen brach schon fast der Morgen an, Roman hörte einen Vogel zwitschern. Langsam streckte er sich, ganz steif geworden vom Sitzen. Wortlos stand er auf und trat ans Fenster, wo er vorsichtig den weißen Store zur Seite schob und hinausstarrte. Seine Urgroßmutter hatte also eine Schwester gehabt, eine Zwillingsschwester, die - wegen des Skandals um das Kind? - aus den Annalen der Familie getilgt worden war. So vollständig, dass heute niemand mehr etwas von ihr wusste. Oder wissen wollte. Er glaubte ohne Weiteres, dass seine Eltern nichts von Dorothea von Hassbach ahnten, aber Sophie?

»Meinst du, dass deine Großmutter von Doros Existenz weiß?«, fragte Viktoria, als habe sie Romans Gedanken gelesen.

»Jedenfalls hat sie nie von ihr gesprochen. Aber das muss nichts bedeuten.«

»Nein«, stimmte Viktoria zu. Roman hörte, wie sie sich bewegte, und drehte sich wieder zu ihr um. Das Tagebuch lag auf ihrem Schoß, sie berührte es andächtig. »Es kommt vermutlich drauf an, was mit Doro - und dem Kind - geschehen ist. Wenn sie es war, die starb und über deren Verlust Marie nicht hinwegkam, wär's durchaus möglich, dass keiner Sophie etwas von ihrer Tante erzählt hat. Wann wurde deine Großmutter geboren?«

»1918, fünf Jahre nach den Ereignissen in Maries Tagebuch.«

»Etwas ist in diesen fünf Jahren passiert, und ich wette, es passierte relativ zeitnah an Maries letzter Eintragung. Zumindest wäre das ein Grund dafür, weshalb sie nie mehr etwas geschrieben hat.«

»Ich weiß nicht«, wandte Roman ein. »Geheimnisst du da nicht zuviel hinein? Sie könnte ein neues Buch angefangen haben, sozusagen zusammen mit einem nächsten Abschnitt in ihrem Leben, in dem es ihre Nichte gab. Und das neue Buch ist verloren gegangen wie die anderen oder liegt in Stralsund oder sonst wo. Genau genommen ist es schon ein bemerkenswerter Zufall, dass wir ausgerechnet dieses Tagebuch gefunden haben.«

Viktoria sah auf das lederbezogene Buch und nickte langsam. »Deshalb glaube ich nicht, dass es Zufall ist.«

»Willst du damit sagen, jemand hat es extra für uns hier deponiert?«, fragte Roman ungläubig.

»Vielleicht. Vielleicht haben aber auch gerade diese Ereignisse eine besondere Bedeutung für Marie gehabt, wie das Foto in dem Album von ihr und Doro und die anderen Gegenstände, die sie aufgehoben hat. Die Schachfiguren, das silberne Kreuz, das Johanns Schwester gehört hat.



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