Die Triffids: Roman - Mit einem Vorwort von M. John Harrison (www.Boox.bz) by Wyndham John

Die Triffids: Roman - Mit einem Vorwort von M. John Harrison (www.Boox.bz) by Wyndham John

Autor:Wyndham, John [Wyndham, John]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Random House DE
veröffentlicht: 2012-02-13T00:00:00+00:00


9 Evakuierung

9

Evakuierung

Die Erinnerung an den rothaarigen jungen Mann, der auf uns geschossen hatte, bewog mich, eine bestimmte Route nach Westminster zu wählen.

Seit meinem sechzehnten Lebensjahr hatte mein Interesse für Waffen abgenommen, aber wer in einer barbarischen Umwelt am Leben bleiben wollte, musste bereit sein, als Barbar zu leben. In der St. James Street gab es einige Läden, wo einem mit der größten Zuvorkommenheit jedes Mordwerkzeug verkauft worden war, von der Krähenflinte bis zur Elefantenbüchse.

Ich verließ diese Gegend mit erhöhtem Sicherheitsgefühl und der Ausrüstung eines Banditen. Wieder verfügte ich über einen handlichen Hirschfänger. Eine Pistole von der Präzisionsarbeit eines wissenschaftlichen Instruments hatte ich in der Tasche. Auf dem Sitz neben mir lagen ein geladenes Gewehr und Schachteln mit Patronen. Statt einer Büchse hatte ich eine Schrotflinte gewählt – der Knall ist ebenso überzeugend, und man köpft damit eine Triffid viel sicherer als mit einer Kugel. Und Triffids konnte man nun auch in London begegnen. Zwar schienen sie die Straßen nach Möglichkeit noch zu meiden, doch hatte ich einige durch den Hyde Park stelzen gesehen, und andere gab es im Green Park. Vielleicht harmlose, gestutzte Zierpflanzen – oder auch nicht.

Und so kam ich nach Westminster.

Die Öde und die Totenstille waren hier noch ausgeprägter als anderswo. Die Straßen boten das gewohnte Bild: überall Gruppen herrenloser, verlassener Fahrzeuge. Sehr wenige Leute in Sicht. Ich sah nur drei. Zwei klopften mit ihren Stöcken die Gossen von Whitehall entlang, den Dritten gewahrte ich auf dem Parliament Square. Er saß nahe dem Lincoln-Denkmal und umklammerte seinen kostbarsten Besitz: eine Speckseite, von der er eben mit einem stumpfen Messer eine Schnitte heruntersägte.

Über all dem erhob sich das Parlamentsgebäude; die Zeiger der Turmuhr waren drei Minuten nach sechs stehengeblieben. Schwer zu glauben, dass dieser ganze riesige Komplex nun nichts mehr bedeutete, nichts weiter war als ein pompöses Gebilde aus brüchigem Stein, das ruhig zerfallen konnte. Mochten die bröckelnden Zinnen auf die Terrasse herunterprasseln – kein Abgeordneter würde sich über die Gefährdung seines wertvollen Lebens beschweren. Daneben floss ungestört die Themse. Wie sie fließen würde, bis eines Tages die Kaimauern umsanken und die Wasser sich ausbreiteten und Westminster wieder ein Eiland inmitten einer Marsch sein würde.

Es beschlich mich ein neues Gefühl – Angst vor dem Alleinsein. Ich war nicht mehr allein gewesen, seit ich nach Verlassen des Hospitals die Piccadilly entlangwanderte, und damals hatte mich all das bestürzend Neue gefesselt, das ich sah. Nun erlebte ich zum ersten Mal den Schrecken, den wirkliche Einsamkeit für ein von Natur aus geselliges Geschöpf hat. Ich fühlte mich nackt und preisgegeben, von lauernden Ängsten umstellt …

Ich zwang mich, die Victoria Street hinaufzufahren. Selbst die Geräusche des Wagens und ihr Echo erschreckten mich. Ich hätte den Wagen am liebsten stehen lassen, um lautlos zu Fuß weiterzuschleichen. Nur unter Aufgebot meiner ganzen Willenskraft vermochte ich es, den Kopf oben zu behalten und meinen Plan durchzuführen. Denn ich wusste, was ich getan hätte, wäre mir dieser Distrikt zugefallen – ich hätte mich aus seinem größten Warenlager verproviantiert.

Die Lebensmittelabteilung des Army and Navy Stores fand ich vollständig ausgeräumt, aber kein lebendes Wesen in den Räumen.



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