Die Toten schweigen nicht by Paul Cleave

Die Toten schweigen nicht by Paul Cleave

Autor:Paul Cleave [Cleave, Paul]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2010-04-03T16:00:00+00:00


Kapitel 26

Ich setze mich wieder hin und denke ein paar Minuten über das nach, was er gesagt hat, überlege, ob mir die Polizei helfen kann, wenn ich die Wahrheit sage, oder ob ich dann erledigt bin. Als ich aufstehe, muss ich mich erneut am Schreibtisch festhalten. Dabei komme ich zu dem Schluss, dass Landry nicht die leiseste Ahnung hat, wovon er spricht – keiner hier weiß das -, und dass man mich verdammt noch mal in Ruhe lassen soll.

Auf meinem Weg zum Aufzug starrt mich aus jeder Arbeitsnische, aus jeder Ecke des vierten Stocks irgendjemand an. Vor zwei Jahren habe ich noch zu ihnen gehört. War Teil des Teams und tat mein Bestes, um in der Stadt für Ordnung zu sorgen, um die steigende Flut der Gewalt einzudämmen, in einem damals wie heute aussichtslosen Kampf. Dann änderten sich die Dinge. Die Welt wurde eine andere. Ich reichte meine Kündigung ein, weil ich wusste, dass man das in der Abteilung von mir erwartete. Ich wollte nicht länger dort arbeiten, hatte allerdings keine Ahnung, was ich nach meiner Kündigung mit mir anfangen sollte. Am Tag meiner Verabschiedung kamen alle zu mir, klopften mir auf die Schulter oder schüttelten mir die Hand und meinten, egal was dem verschwundenen Quentin James zugestoßen sei, er habe es verdient. Niemand sprach offen aus, dass ich ihn umgebracht hatte, denn niemand wusste es, und noch wichtiger, niemand wollte es wissen. Jeder hatte seine Vermutungen, und alle waren auf meiner Seite; wäre jedoch irgendein Beweis aufgetaucht, hätten sie mich ohne mit der Wimper zu zucken eingebuchtet.

Und genau dieselben Menschen glotzen mich jetzt an. Alle bleiben auf Abstand, mustern mich von oben bis unten, meine zerknitterten Klamotten und mein unrasiertes Gesicht, und fragen sich, was für ein Unglück ihnen zustoßen müsste, damit sie so enden wie ich. Sie fragen sich, wie lange es noch dauert, bis ich mich zu Tode gesoffen habe; ob der Alkohol mich erledigt, oder ob ich mir vorher den Lauf einer Schrotflinte in den Mund stecke. Verdammt, wir stellen uns alle dieselben Fragen. Am liebsten würde ich ihnen entgegenbrüllen, dass mir alles scheiß egal ist und dass ich auf ihr Mitleid verzichten kann.

Ich erreiche den Aufzug, aber bevor die Türen sich schließen, schlüpft Landry ins Innere. Er hat eine Packung Zigaretten in der Hand.

Der Fahrstuhl setzt sich in Bewegung und rauscht nach unten. Mir ist so flau, als würden wir mit hundert Stundenkilometern in die Tiefe stürzen. Ich stütze mich an der Wand ab. Worüber Landry sich auch unterhalten will, er hat nicht viel Zeit.

»Ich weiß, dass du sie umgebracht hast«, sagt er. »Alderman und James.«

Er dreht sich in meine Richtung und stößt mich sanft gegen die Rückwand des Aufzugs. Mit der Handfläche auf meiner Brust und ausgestrecktem Arm hält er mich auf Abstand wie einen üblen Geruch.

»Quentin James, dieses Arschloch, es ist mir scheißegal, dass du ihn getötet hast. Verdammt, wir haben da was gemeinsam, denn manchmal glaube ich, dass ich auch zu so was fähig wäre. Aber genau das unterscheidet uns, stimmt’s? Ich musste diese Grenze nicht überschreiten, weil ich nicht denselben Verlust erlitten habe wie du.



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