Die tückische Straße : Spitzel- und Detektivgeschichten by Walter Serner

Die tückische Straße : Spitzel- und Detektivgeschichten by Walter Serner

Autor:Walter Serner [Serner, Walter]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Erzählungen
ISBN: 3423017910
Herausgeber: dtv
veröffentlicht: 1981-12-31T23:00:00+00:00


Deiters Putsch

Piotr Deiter, ein Russe, erwachte am 18. April 1925 um vier Uhr morgens durch einen Kanonenschuß: es gab in Lissabon wieder einmal einen Militärputsch. Vor dem Fenster war nichts als Rauch zu sehen. Als er sich verzogen hatte, gewahrte Deiter, daß das gegenüber befindliche Haus eingestürzt war und die den Hof abschließende Mauer. Da der Portier das Haustor unter keinen Umständen geöffnet hätte, war Deiter jäh dazu entschlossen, über den Hof fortzugehen, um gewisse lustvolle Erinnerungen an die Wirkung der Kanonenschüsse des vorletzten Putsches zu einem speziellen zu verwerten.

Als er nach wenigen Minuten in der Rua da Gloria stand, fiel ihm ein, daß er vergessen hatte, zweckentsprechend sich anzukleiden. Deshalb stieg er durch ein Parterrefenster in das nebenan befindliche Haus seines Freundes Poito, der gar nicht verwundert war, sondern ihm dafür dankte, ungeachtet der Gefahr zu seinem Geburtstag gekommen zu sein. Deiter gratulierte, frühstückte, die Abwesenheit Zoilas bedauernd, und wußte Poito später zu veranlassen, zum Zeitvertreib ihm seine sämtlichen Anzüge vorzustolzieren. Als man beim achten angelangt war, machte er den Scherz, den neunten sich selber anzuziehen, und tänzelte, gleich einem Mannequin, vor Poito hin und her.

»Er paßt dir ausgezeichnet.« Poitos Auge expertierte.

»Wie für mich aus der Kanone geschossen.«

»Ein Volltreffer!«

»Bum!« Und Deiter schüttelte miteins herzlich Poitos Hand, mit gerührter Stimme hauchend: »Ich danke dir dafür!«

Poito machte ein dummes Gesicht. Als er begriff, lächelte er grandseigneuresk und ließ es dabei bewenden.

Mit diesem Truc besorgte sich Deiter seit mehreren Jahren seine Garderobe. Er behielt die neue Akquisition, mit der er Großes vorhatte, auf dem Leibe, drückte sich unter einem Vorwand und eilte alsbald auf die Praca do Rio de Janeiro. Hier blickte er siegesgewiß auf ein Fenster der zweiten Etage jenes stattlichen Gebäudes, das Zoila bewohnte. Durch das Fenster des Parterre-Abortes drang er ins Haus und ungesehen bis zum Schlafzimmer Zoilas vor, die zum Zeitvertreib mit ihrer Freundin Delfina telefonisch alte Erinnerungen austauschte. So erfuhr er, daß diese, die seit zwei Jahren die Gattin da Silvas war, eines hohen Justizbeamten, mit Zoila voreinst in Paris die Straße gemacht hatte; daß beide in der Rue de la Montagne-Sainte-Geneviève ein Maison meublée bewohnt und daselbst und bei Vachier allerhand Unsägliches erlebt hatten.

Als Deiter nachher eintrat, war Zoila, die den langjährigen Freund Poitos nur wegen seiner Verwendbarkeit duldete, zum ersten Mal von seinem Erscheinen entzückt: sie ängstigte sich sehr. »Aber die Kugeln fliegen doch nur so herum! Ich habe sogar die Fensterladen schließen und Licht machen müssen.« Sie nahm verzagt ihr Gesicht in die Hände.

Deiter, dessen Mut bloß der ihm angeborene Leichtsinn war, kniete, eine Grimasse schneidend, nieder, »Ohne dich halte ich es keinen Tag aus. Erhöre mich oder ich benütze die Gelegenheit.«

Zoila lachte. »Ich könnte dir nicht einmal davonlaufen.«

»Und würdest du schreien, käme sicherlich niemand. Man würde glauben, es hätte dich eine verirrte Kugel getroffen, und nur um das eigene Leben zittern.« Deiter ließ, es ihr vorführend, seine Arme schlottern.

Da donnerten in großer Nähe rasch hintereinander mehrere Kanonenschüsse. Zoila schlug sich, ebenso oft erschreckend, die Hände auf den Mund, während Deiter die Wiederkehr Jener gewissen Wirkungen mit einem leisen Zungenschnalzen begrüßte und den Rock sich auszog.



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