Die sterblich Verliebten by Javier Marías

Die sterblich Verliebten by Javier Marías

Autor:Javier Marías [Marías, Javier]
Die sprache: de
Format: mobi
ISBN: 9783104019970
Herausgeber: Fischer E-Books
veröffentlicht: 2011-12-18T23:00:00+00:00


Die beiden stehenden Männer drehten sich sofort zu mir um, sie hatten wohl weder mein Schuhanziehen noch sonst etwas gehört. In Díaz-Varelas Augen bemerkte ich sogleich Kälte oder Argwohn, Vorwurf, sogar Härte. In denen von Ruibérriz bloß Überraschung und ein aufblitzendes männliches Taxieren, das ich sofort erkenne und das er vermutlich nicht unterdrücken konnte, manche Männer haben einen flinken Blick für diese Art Bewertung und können ihn nicht bremsen, sie sind imstande, auf die entblößten Schenkel einer Frau zu achten, die nach einem Unfall blutüberströmt auf der Straße liegt, oder auf den Graben in ihrem Ausschnitt, der beim hilfsbereiten Bücken sichtbar wird, wenn die Männer die Schwerverletzten sind, es ist stärker als ihr Wille oder unabhängig von ihm, es ist eine Lebensweise, die sie bis zum Tod nicht mehr ablegen, und bevor sie für immer die Lider schließen, werden sie genüsslich das Knie ihrer Krankenschwester begutachten, selbst wenn es in weißen Strumpfhosen mit Knötchen steckt.

Ja, ich bedeckte mich mit den Händen, instinktiv und unwillkürlich; doch ich vollzog keine Kehrtwende, keinen sofortigen Rückzug, denn ich dachte, dass ich etwas sagen, heftige Erregung, Erschrecken demonstrieren musste. Das war nicht ganz so spontan.

»Huch, tut mir leid, pardon«, ich wandte mich an Díaz-Varela, »ich wusste nicht, dass jemand hier ist. Entschuldigt, ich ziehe mir was über.«

»Aber nein, ich wollte gerade gehen«, sagte Ruibérriz und streckte mir die Hand entgegen.

»Ruibérriz, ein Freund«, stellte Díaz-Varela verärgert und knapp vor. »Das ist María.« Er beraubte mich des Nachnamens wie damals Luisa bei sich zu Hause, doch womöglich tat er es mit Absicht, um mich minimal zu schützen.

»Ruibérriz de Torres, freut mich sehr«, präzisierte der Vorgestellte und strich den vornehmen Namenszusatz heraus. Seine Hand schwebte noch immer in der Luft.

»Sehr erfreut.«

Ich drückte sie rasch – entblößte dabei kurz eine Seite, seine Augen flogen auf diese Brust zu –, schlüpfte zurück ins Schlafzimmer und ließ die Tür offen, damit meine Absicht deutlich wurde, zu ihnen zurückzukehren, der Besuch würde nicht gehen, ohne sich von jemandem zu verabschieden, den er noch im Blickfeld hatte. Ich griff zum Pullover, zog ihn mir vor seinen Augen an – ich spürte sie beim Ankleiden starr auf mein Profil gerichtet – und ging wieder hinaus. Ruibérriz de Torres trug um den Hals einen foulard – nur ein Accessoire, vielleicht hatte er ihn gar nicht abgenommen –, und auf seinen Schultern ruhte der berühmte Ledermantel fast wie ein Umhang, wie auf dem Theater oder beim Karneval. Er war lang, aus schwarzem Leder, wie ihn die SS-Männer oder die von der Gestapo in den Nazifilmen zur Schau tragen, ein Typ, der Aufmerksamkeit schnell und spielend erwecken wollte, auch auf die Gefahr hin, Ablehnung zu provozieren, jetzt würde er auf dieses Kleidungsstück verzichten müssen, sofern er Díaz-Varela gehorchte. Als Erstes ging mir durch den Kopf, wie dieser einem Individuum vertrauen konnte, das so offenkundig nach Gauner aussah, denn den verrieten Gesicht, Haltung, Konstitution und Gestik, ein flüchtiger Blick genügte, und man hatte sein Wesen erfasst. Er hatte die fünfzig schon hinter sich, doch alles an ihm trachtete



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