Die Quints by Christine Brückner

Autor:Christine Brückner [Christine Brückner]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-09-22T00:00:00+00:00

11

›Die einzige Sache die wichtig ist ist das tägliche Leben.‹

Gertrude Stein

Die zweite Frau Brandes wartete den von ihrem Mann testamentarisch festgesetzten Termin nicht ab, an dem sie den Eyckel zu verlassen hatte. Sie wählte einen Tag, an dem Herr Kilian, der Geschäftsführer, zu einem eintägigen Aufenthalt in die DDR gereist war. Mittags fuhr ein Möbelwagen so nah wie nur möglich an den Hoteleingang heran. Das Personal war im Restaurant und in der Küche beschäftigt, die Stubenmädchen brachten die Zimmer in Ordnung. Der Zeitpunkt war also günstig gewählt. Frau Brandes, von zwei kräftigen Möbelpackern begleitet, erschien in der Hotelhalle. Ohne Maximiliane, die an der Rezeption stand, zu begrüßen, zeigte sie auf eine alte Truhe und auf den einzigen kostbaren Sessel. Die Packer taxierten das Gewicht.

Maximiliane trat einen Schritt zurück, lehnte sich gegen die Wand und sah zu, tatenlos, wehrlos, wortlos. Aber: Gott ist in den Schwachen mächtig, der Buchhalter, Herr Bräutigam, erschien im richtigen Augenblick, durchschaute die Lage und faßte sie in dem Satz: »Die sahnt ab!« zusammen. Er überwand seine Menschenscheu, eilte ins Restaurant, um Herrn Röthel zu holen, eilte weiter in die Küche, benutzte auch dort das Wort ›absahnen‹, das keiner kannte, das aber, im Zusammenhang mit Frau Brandes, sofort verstanden wurde.

Antonio erschien als erster auf dem Schauplatz, zusammen mit seiner Frau Margherita. Er krempelte die Ärmel der Kochjacke noch höher. Nebeneinander stehend füllten sie die Eingangstür des Hotels, ein gewichtiges, lautstarkes Hindernis aus Fleisch und Empörung. Der Hausbursche Brod kam gerade mit einer Hacke in der Hand über den Hof, Mercedes zog den Staubsauger hinter sich her, schließlich kam auch der Oberkellner Röthel aus dem Restaurant. Eine Phalanx gegen Frau Brandes, die in noch schärferem Ton als gewöhnlich »Frau Quint!« sagte. Diese entgegnete mit fast ruhiger Stimme: »Frau Brandes!«, hielt sich aber mit beiden Händen an den eigenen Ellbogen fest, nachdem sie die Brille ins Haar geschoben hatte, nicht um besser, sondern um weniger zu sehen. Mit der Nennung der Namen war noch nicht viel gesagt, aber der Zweikampf war eröffnet. In diesem Augenblick tat sich die Tür auf, die ins Restaurant führte, ein Hotelgast, eine alte Dame, erschien und fragte erfreut, ob ein Theaterstück eingeübt würde.

Maximiliane wandte sich der Dame zu und sagte freundlich: »Wir sind beim letzten Akt. Dann wird weiterserviert.«

Sie nahm die alte Dame beim Arm, führte sie zurück ins Restaurant und schloß die Tür.

Antonio ging auf den Packer zu, der noch immer den schweren Renaissancestuhl trug, nahm ihm den Stuhl ab, stemmte ihn hoch, rief: »La sedia!« und setzte ihn dort ab, wo er immer gestanden hatte. Er forderte seine Frau auf, ihn zu besetzen, und nahm seinerseits auf der ebenfalls gefährdeten Truhe Platz.

Mittlerweile hatte Herr Bräutigam die Inventarlisten aus dem Büro geholt, hielt sie Frau Brandes vor die Augen und sagte: »Schauns halt!« Die Rechtslage wurde geklärt. Herr Bräutigam variierte seinen Standardsatz ›Was schöi is, is halt schöi‹ und sagte zur allgemeinen Überraschung: »Was schöi is, muß hierbloibn!«

Nach einer halben Stunde waren die Möbel aus dem Appartement der zweiten Frau Brandes im Möbelwagen verstaut und das Personal an seine Arbeitsplätze zurückgekehrt.

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