Die morawische Nacht by Peter Handke

Die morawische Nacht by Peter Handke

Autor:Peter Handke [Handke, Peter]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783518461082
Herausgeber: Suhrkamp
veröffentlicht: 2008-12-31T23:00:00+00:00


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Hatte der ehemalige Autor sich auf der bisherigen Reise nicht nur prinzlich, sondern, so kam es ihm vor, sogar königlich Zeit gelassen, so war es ihm unterwegs in sein Geburtsland auf einmal eilig. Weniger nach Österreich zog es ihn als von dort weiter, nachhause, ja, nachhause auf den Balkan, auf das Boot an der Morawa. Er fühlte? dachte? nein, er wußte sich mit dem Fluß und der Enklave von Porodin verbunden; wußte sich dem Ort verpflichtet, auch wenn kaum jemand dort sich um ihn scherte, geschweige denn ihn nötig hatte. Mit Österreich dagegen verband ihn in Gedanken nichts mehr, und das schon seit so langem, daß ihm das von Zeit zu Zeit beinah unheimlich wurde. Sein Bruder, zu dem er, ohne einen besonderen Kontakt, eine gewisse Nähe spürte, und ebenso Filip Kobal und der aus der Niemandsbucht unlängst heimgeflüchtete Gregor Keuschnig: die waren für ihn, ähnlich wie noch die paar anderen Bekannten im Land, nicht Österreich. Sein Heimatland, an dem er doch einmal gehangen hatte, das ihm dann, in einer Zwischenzeit, zum Feind geworden war und an dem er dann wieder gehangen hatte, bereit, würde es, wie das weiterhin, wenn auch auf andere Weise als früher, von außen in Bausch und Bogen angegriffen, es zu verteidigen wie nur je ein Patriot: es war ihm, im Bösen wie im Guten, entfallen, und so ganz recht war ihm das aber nicht. Nicht einmal mehr im Traum kam seine Kindheitswelt mehr vor.

Wenn er andererseits zurückdachte an die zum Glück nur kurze Periode, da er, als junger Schreiber, die Rolle eines Vertreters seines Landes zugewiesen bekommen hatte und dann und wann auch entsprechend aufgetreten war, so packte ihn selbst heute noch die Scham, und es war immerhin ein Gefühl von Freiheit, danach entschieden der Sprecher von niemand und nichts geworden zu sein. Nur keine öffentliche Figur sein, nicht einmal, wie damals er, eher im Spiel, und schon gar kein »Nationalautor«. Dem allen war er, nicht allein durch seine Übersiedlung auf den verschatteten Balkan und nicht allein durch den Verzicht auf gleichwelche Veröffentlichung, entkommen. Schuldig gemacht, so noch immer seine Vorstellung, hatte er sich doch, indem er das Nationaldichterspiel, und wenn auch halbherzig, mitspielte, bleibend schuldig. Und warum hatte er mitgespielt? Vielleicht, weil er seinerzeit, für eine kleine Weile, in der Tat an etwas wie eine andere Nation glaubte, überhaupt an grundandere Nationen, und meinte, die mitverkörpern zu können. Idiot. Dorftrottel. Hausstock. (»Noch einmal erklärt für euch Hausstöcke«, unterbrach der Bootsherr wieder einmal sein nächtliches Erzählen: »›Hausstock‹, österreichisch: der eine Debile oder Geistig-nicht-Entwickelbare in einem bäuerlichen Anwesen, einer, der, in jedem Sinn, über Haus und Hof nie hinauskommt, eben ein Haus-Stock.«)

In der letzten Zeit aber waren die Träume von seinem Land zurückgekommen. Jede Nacht ein Geburtsorttraum, und der dort nachtlang andauernd, in neu von dort geträumter epischer Weite (wenn auch weniger Fülle). Er erklärte das sich, und später uns Zuhörern im Bootssalon, damit, daß er ihr, der fremden Frau, während ihrer beider kurzem Beisammensein in einem fort vom Kindheitsdorf und seinen Vorfahren erzählt hatte, ungefragt,



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