Die Medizin verkauft ihre Seele by Manfred Wiedemann

Die Medizin verkauft ihre Seele by Manfred Wiedemann

Autor:Manfred Wiedemann
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783662609569
Herausgeber: Springer Berlin Heidelberg


Der Zwang zum Ergebnis ohne Komplikation

Noch ein Allgemeinplatz. Wollen Sie von einem Anfänger operiert werden? Und würden Sie es akzeptieren, wenn irgend Etwas schiefläuft? Würden Sie dann nicht mit dem Gedanken spielen, den Agenten ihrer Rechtsschutzversicherung anzurufen mit der Frage, ob man denn gegen die verursachende Klinik nicht vorgehen könnte? Oder zumindest einen im Medizinrecht versierten Rechtsanwalt befragen? Wenn Sie diese Fragen bejahen, denken und handeln Sie wie viele Ihrer Zeitgenossen. Jeder wünscht die beste Behandlung und ein einwandfreies Ergebnis. Fehler dürfen nicht passieren und werden nicht akzeptiert. Und viele Rechtsanwälte und Gerichte denken heute ebenso, dies vor allem in den Gebieten Orthopädie/Unfallchirurgie, Allgemeinchirurgie sowie Gynäkologie und Geburtshilfe. Ein gewisser Ausbildungsbonus ist in diesem Denkschema nicht vorgesehen, Und dass die operativen Ergebnisse eines jungen lernenden Kollegen eine gewisse Lernkurve zwangsläufig durchmachen müssen, spielt in der Rechtsprechung ebenfalls keine Rolle.

Der Chef einer Abteilung und die Rechtsabteilung der Klinik oder deren Haftpflichtversicherer kennen natürlich die gestiegene Neigung einer gleichzeitig verunsicherten und überinformierten Gesellschaft zur kritischen Überprüfung eines operativen Ergebnisses, vor allem, wenn dies nicht nach dem Wunsch des Patienten oder eines Angehörigen ausgefallen ist. Die kritische Nachfrage kommt heute übrigens auch sehr oft von den Kostenträgern oder dem Medizinischen Dienst der Kassen selbst, die darin eine immer stärker sprudelnde Geldquelle sehen. Und welcher Klinikchef möchte sich gerne ständig mit äußerst scharf formulierten, inquisitorischen Rechtsanwalt Schreiben auseinandersetzen oder mit insuffizienten Stellungnahmen bezahlter Wunschgutachter? Und dann vor Gericht erscheinen müssen und trotz nach seiner Ansicht bester Behandlung eines Patienten mit hohem persönlichem Einsatz zu hohen Haftpflichtsummen verurteilt werden wie ein kleiner Gauner?

Diese heutige Vorgehensweise vergiftet nicht nur die Stimmung zwischen Arzt und Patient – denn im Grunde wird heute in jedem Fall einer Behandlung ganz entfernt an eine mögliche spätere Umkehr der Patientenfreundlichkeit hin zur juristischen Attacke gedacht. Diese Praktiken der drohenden juristischen Fehleranalyse und – Sanktionen verändern die heutige Medizin hin zur unglaublich teuren Absicherungsmedizin, wie an anderer Stelle ausgeführt wird.

Im hier interessierenden Kontext ist vor allem zu beschreiben, dass das externe, ständig präsente Drohgebäude eine Ausbildung hin zum eigenständigen und selbstbewussten Chirurgen nahezu unmöglich macht. Denn jeder noch so kleine Eingriff, bei dem ein Problem auftreten könnte, wird dem jungen Chirurgen weggenommen und von einem Erfahrenen übernommen. Gleiches gilt für sogenannte kritische Patienten. Klinikleiter operativer Abteilungen entwickeln im Verlauf der Zeit für diese Situationen und diese besonderen Patienten ein gutes Gespür und machen die erforderlichen Eingriffe am besten selbst. Mit etwas zeitlichem Aufwand kann man so vorauseilend ärgerliche und zeitraubende juristische Verläufe vermeiden.

Aber dem Assistenten ist zum einen wieder ein Eingriff verloren gegangen. Zum anderen hat man ihm die Chance genommen, sich zu bewähren und Verantwortung zu übernehmen. Man belässt ihn im geschützten Rahmen einer kindergartenähnlichen Einrichtung. Wie kann ein junger Arzt auf diese Weise ein starker Charakter werden, der selbstbewusst zu seiner Arbeit steht? Noch haben wir keine amerikanischen Verhältnisse, wo ein Patient am Klinikeingang von spezialisierten Rechtsanwälten eine Visitenkarte in die Hand gedrückt bekommt und wo die gezahlten Haftpflichtprämien unermessliche Summen erreichen mit der Folge, dass zahlreiche Chirurgen ihre Tätigkeit aufgeben müssen.



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