Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen by Willy Seidel

Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen by Willy Seidel

Autor:Willy Seidel [Seidel, Willy]
Die sprache: rus
Format: epub
Tags: Erzählungen
Herausgeber: Georg Müller Verlag
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Zur Erbin des Schlößchens und Parkes geworden, ließ Désirée die bewußte Truhe im Heckenlabyrinth vergraben. Eine Marmorplatte, mit einer Urne verziert, wurde darübergelegt; und die Tante war an einer anderen Stelle, die man im Testament verzeichnet fand, zur ewigen Ruhe bestattet worden: unmittelbar hinter dem Sockel mit dem Standbild des Prinzen Viktor.

Es fiel nun den Domestiken mit Recht auf und gab einiges Kopfschütteln, daß die gute Désirée, anstatt die Grabstätte der Verewigten gebührend zu pflegen, weit häufiger sich zu jener Marmortafel, unter der die Truhe lag, verfügte und dortselbst ausgedehnte Andachten hielt. Bisweilen nahm sie auch ein Büchlein mit und las psalmodierend daraus vor. Einmal wollte man sie auch schluchzen gehört haben. Man hielt es für Schmerzenslaute, dem Andenken der Tante geweiht . . .

Es geschah nun, daß sie wiederum in ihrem Verstecke saß, auf der Marmortafel ruhend und den Kopf an die Urne gebettet. Es war die Zeit, da die Rosen in höchstem Flor standen, um die Mitte Juni, und es war ein heißer Tag. Sie ließ den in rotes Maroquin gebundenen kleinen Band (einen Taschenkalender voll unartiger Kupferstiche, vertrackter Lebensmaximen und trostreicher Ratschläge), aus dem resigniert nachgebenden Schoß gleiten und starrte vor sich hin. Ihre umherirrenden Hände streckten sich nach beiden Seiten und betteten sich müde auf die Seide ihres Reifrockes, der, mächtig gebauscht, den Stein ganz verhüllte. – Und mit der Zeit wurde sie traurig in der Wärme und dem Rosenduft; der Gram überfiel sie, und sie schluchzte heftig. Dabei schlief sie ein; und auf einmal fuhr sie, von einer zierlichen Musik geweckt, empor und starrte in die Höhe.

Zunächst sah sie nichts als ein helles Blau. Auf einmal vertiefte sich dieses Blau, erhielt Perspektive, und zwar durch eine silberne Treppe, die aus ihm hervorwuchs und deren Fuß scheinbar hinter der Hecke mündete. Nun erschien auf der Höhe dieser Treppe ein Pärchen: der Prinz Viktor und die Gräfin Ponquille.

Der Prinz löste sich von der verewigten Freundin los und eilte die Stufen hinab, wobei seine Schritte eine hübsche Melodie ergaben. Seine Kleidung war heiter und leuchtend; ein rosiges Gewimmel von Puten purzelte hinter ihm drein. Kurz bevor er hinter der Hecke verschwand, nahm er das Lorgnon und spähte nach Désirée hinüber, worauf er befriedigt nickte und untertauchte.

Jetzt hörte Désirée Schritte im Grün, und auf einmal stand der Prinz vor ihr. Sie kannte ihn schon von der Statue her, die man ihm errichtet; doch hatte jener Künstler ihn mit einer viel zu kraftvollen Figur ausgestattet, wie durch den Augenschein ersichtlich war: denn er war nichts weniger als muskulös, vielmehr ein sehr zierlicher, beinahe schmächtiger Herr.

Er verbeugte sich und sprach mit besorgter Stimme: »Sie weinen, meine Beste?«

»Ja, Ew. Liebden«, erwiderte das Mädchen. »Muß ich nicht weinen? . . . Er ist tot.«

»Wer ist tot, meine Liebe?« Der Prinz blickte eifrig mit dem Lorgnon in der Runde umher. Seine Backen waren gebläht, seine Augen, kurzsichtig, traten etwas hervor.

»Aber er ist doch tot, Pierrot, mein Freund! – ich sitze auf ihm, Ew. Liebden!« rief sie und begann von neuem heftig zu schluchzen. Hier



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