Die Kirschen der Freiheit by Andersch Alfred
Autor:Andersch, Alfred [Andersch, Alfred]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 978-3-257-60078-0
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 2015-05-29T00:00:00+00:00
Die Angst
Rasierte mich gerade, am zweiten Morgen darnach, am Brunnen einer Hügelvilla bei Piombino, in deren Park wir den Tag verbrachten, als der Oberleutnant mit seinem Waschzeug hinzukam. Ich versuchte die Andeutung eines GruÃes, doch der Chef winkte sogleich ab und begann mit seiner Toilette. Der Brunnen bestand aus einem groÃen, damastgelben Marmorbecken; in Gestalt eines Greifenkopfes entsprang der wasserspendende Mund der Hauswand. Wir waren in dem Innenhof des kleinen Palastes allein.
»Woher haben Sie eigentlich Ihre Italienisch-Kenntnisse?« fragte er. Er war klein, dunkel, hübsch, drahtig, gefährlich. Seine Ansprache an uns beim Abmarsch aus Dänemark hatte er mit den Worten geschlossen: »Für diejenigen, die vor dem Feind nicht spuren: in meiner Pistole sind sechs SchuÃ.« Das war der Herr Oberleutnant Meske.
»Ich bin im Frieden schon ein paarmal dagewesen«, antwortete ich. Und jetzt kein Wort weiter, dachte ich im [59] gleichen Augenblick, dem Heini nicht zeigen, daà man mehr gesehen hat als er.
»Haben Sie gehört«, fragte er, »daà die Engländer den italienischen Ãberläufern in Afrika die Hosenböden herausgeschnitten und sie wieder zurückgejagt haben?« Er wartete keine Antwort ab, sondern setzte hinzu: »Aber sie werden nie lernen, zu kämpfen.«
Das Geräusch des dünnen Wasserstrahls wurde manchmal unterbrochen, wenn der Chef seinen Kopf darunter hielt, um sich prustend zu waschen. Ich beobachtete ihn wachsam und gespannt aus den Augenwinkeln heraus, während ich mir sorgfältig das Kinn schabte. Nach einer Weile sagte er: »Sobald wir wieder in Ruhestellung sind, werde ich dafür sorgen, daà Sie zum Gefreiten ernannt werden.«
Das hat also geklappt, dachte ich. Meine Tarnung war in Ordnung. »Danke bestens, Herr Oberleutnant!« sagte ich laut. Der Chef nickte.
Nachdem ich mein Rasierzeug verstaut hatte, schlenderte ich durch den Park, in dem Zypressen wuchsen, so riesig, wie ich sie nur in der Villa dâEste gesehen hatte, mächtige schwarzgrüne Säulen, in denen das Sonnenlicht lautlos versickerte, Lorbeerbüsche wuchsen entlang den Wegen, und das dünne schwarze Geäst der längst verblühten Glyzinien schob sich die Mauer hinauf. Unter den Bäumen lagen die Soldaten im Schlaf. Ein leichter, von leisem Wind umspielter Schlaf umfing sie, ein südlicher Gartenhügel-Schlaf. Als ich stehenblieb und, die Arme auf die Mauer gestützt, ins Land hinaussah, erblickte ich zuerst das Silberlaub der Oliven, die den Hügel bedeckten, und dann das staubweiÃe Band der todesstillen StraÃe. In einem Ausschnitt der Hügel zur Linken war das Meer zu sehen, ein stumpfblaues, einsames Meer, das so aussah, als hätte es noch niemals der Kiel eines Schiffes durchschnitten, ein schieferfarbenes und tückisches [60] Weltende-Meer. Vom Meer her zog ein Geschwader silbern glitzernder Flugzeuge mit dem gesanghaften Dröhnen der Motoren über den Himmel nach Osten und begegnete sich mit einer Staffel anderer, zwiegeschwänzter Maschinen, die ihren Weg nach Norden nahmen. Die Automaten zogen, ohne sich zu berühren, in mittleren Höhen aneinander vorbei und über die verlassen wogenden Weizenfelder hinweg, über die abgeschieden brütenden, von Weltangst erfaÃten Pinien dahin, welche die Unendlichkeit der Getreide-Seen unterbrachen, fern und drohend dahin über die dämonische Verschlossenheit der Ãlbaumhügel, die wieder in die etruskische Einöde ihrer Vergangenheit zurückgekehrt waren.
Diese Gegend legte einem das Gefühl der Angst nahe.
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